Das zähe Ringen um Autonomie

Europäische Solidaritätsbrigade dokumentiert Erfolge der zapatistischen Bewegung

  • Luz Kerkeling, San Cristóbal de las Casas
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Ziele der europäischen Solidaritätsbrigade in Chiapas waren klar gesteckt: Einerseits die Repression gegen die linksgerichtete zapatistische Bewegung und andererseits die jüngsten Fortschritte in dem indigen geprägten Rebellengebiet zu dokumentieren.
Die Frauenklinik »Comandanta Ramona« in La Garrucha ist ein Quantensprung in Sachen Gesundheitsversorgung in Chiapas: im Bild zwei Gesundheitspromotorinnen.
Die Frauenklinik »Comandanta Ramona« in La Garrucha ist ein Quantensprung in Sachen Gesundheitsversorgung in Chiapas: im Bild zwei Gesundheitspromotorinnen.

Es war ein kleiner Marathon durch Hochland-Nebelbänke, tropische Regenfälle und Hitze. Vom 5. bis zum 16. Juli bereiste eine Solidaritätsbrigade mit Delegierten von verschiedenen Kollektiven und Organisationen aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien die fünf zapatistischen Aufstandsregionen in Chiapas. Die Hochburgen der Zapatistas befinden sich im zentralen Hochland, im Norden und im Osten des Bundesstaates. Rund 1000 Dörfer schließen sich zu Dutzenden autonomen Landkreisen zusammen, die wiederum von fünf so genannten Caracoles (Schneckenhäusern) koordiniert und verwaltet werden.

Basisdemokratie ist nicht nur ein Wort

Ein zentrales Charakteristikum der Bewegung ist, dass alle Funktionsträger jederzeit abgesetzt werden können, wenn sie nicht den Willen der Bevölkerung umsetzen. Dieser basisdemokratische Anspruch – ein Ausnahmephänomen im hochkorrupten Mexiko – erklärt die anhaltende Unterstützung der Bewegung, die zwar nach wie vor unter prekären Bedingungen leben muss, sich aber um eine lebendige interne Demokratie bemüht.

Ein Sprecher des zapatistischen Verwaltungsrates von Roberto Barrios, in der Nähe der berühmten Ruinen von Palenque, berichtete der Brigade, dass es der Regierung und den lokalen Machthabern darum gehe, die Unterstützer der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) von den 1994 besetzten Ländereien zu vertreiben, um dort in Zusammenarbeit mit multinationalen Unternehmen Tourismusprojekte und Monokulturen wie die Ölpalme zur Herstellung von Agrosprit, zu installieren. Die Zusammenarbeit von staatlichen Sicherheitskräften und illegalen bewaffneten Banden wurde betont: »Die Paramilitärs sind weiterhin aktiv. Sie stehlen, organisieren Überfälle und vergewaltigen. Und später werden wir Zapatistas als Täter beschuldigt.« Immer wieder werden Übergriffe auf Zapatistas mit rassistischen Untertönen als Auseinandersetzung zwischen »unzivilisierten« Indígenas im Fernsehen und in Zeitungen platziert, um so weitere Militär- und Polizeieinsätze in der Region zu legitimieren. Noch immer ist Chiapas der am stärksten militarisierte Bundesstaat Mexikos, mit fatalen Folgen wie der Zunahme von Drogenkonsum, Umweltzerstörung, sexualisierter Gewalt und Prostitution.

Versuchter Ausverkauf des Widerstands

Die zapatistischen Autoritäten wiesen auch darauf hin, dass die Regierung Hilfsprogramme benutzt, um die Aktivisten mit Geschenken wie Saatgut, Dünger oder Baumaterialien regelrecht aus dem Widerstand herauszukaufen. »Das Geld ist derzeit die mächtigste Waffe der Regierung«, so die zivilen Vertreter der EZLN, »aber wir wollen keine Almosen, wir wollen eine gerechte Welt«.

Die Brigade konnte auch spürbare Fortschritte im Territorium der Zapatistas feststellen, die nach wie vor keine Unterstützung vom Staat annehmen und unabhängige Parallelstrukturen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verwaltung, Rechtsprechung, Kultur, Kommunikation und Produktion aufbauen.

Ein Beispiel für die Bemühungen, die Situation in den Gemeinden zu verbessern, ist die Frauenklinik im Caracol La Garrucha, die nach der legendären Comandanta Ramona benannt ist, die sich innerhalb der EZLN konsequent für Frauenrechte eingesetzt hatte und 2006 verstorben war. »Wir haben hier vor Jahren zu zweit angefangen und inzwischen sind wir viele Frauen, die in den Dörfern und in der Frauenklinik arbeiten. Wir haben vor allem von den traditionellen Hebammen gelernt«, so eine Gesundheitspromotorin, die Hilfestellung in Sachen Gesundheit gibt. Mütter- und Kindersterblichkeit seien deutlich zurückgegangen. Inzwischen werde auch vermehrt über sexuell übertragbare Krankheiten und die Familienplanung gesprochen – ein Thema, das vor Beginn des Aufstands von 1994 undenkbar gewesen ist: »Wir gehen in die Gemeinden und machen Infoveranstaltungen. Den Männern gefällt das nicht immer, aber inzwischen haben sie eingesehen, dass die Frauen ihre Rechte haben«. Auch die Gesundheitspromotoren der anderen Zonen berichteten, dass es, obzwar noch viel fehle, spürbare Fortschritte gebe, vor allem durch Prävention und die Impfkampagnen für die zapatistischen Kinder.

Ökologischer Anbau für Ernährungssicherung

Darüber hinaus zeigte sich die Brigade davon beeindruckt, dass die Promotoren für Agrarökologie über profunde Kenntnisse des globalen Agrobusiness verfügen und hart daran arbeiten, die kleinbäuerliche Basis verstärkt vom ökologischen Anbau zu überzeugen, um »eine wirkliche Ernährungssouveränität« zu erlangen.

Einen anderen wichtigen Bereich stellen die Radio- und Videokollektive dar. Sie dokumentieren Aspekte wie das Wissen der Alten, die traditionelle Musik aber auch aktuelle Auseinandersetzungen und bilden nach Einschätzung der europäischen Brigade das »politische, kulturelle und soziale Gedächtnis der Bewegung«. Die Brigade unterstrich auf der abschließenden Pressekonferenz ihre Gemeinsamkeiten mit dem Zapatismus. Es gehe darum, »mit dem kapitalistischen Modell und seinen schlechten Regierungen Schluss zu machen«, da diese das Ende der Menschheit und der Natur bedeuteten.

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