Die Farbe der Dinge

Im ARD-Hauptstadtstudio erweitert Silke Miche unser »Blickfeld 2.0«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
»screens« (2009) Grafik: Silke Miche
»screens« (2009) Grafik: Silke Miche

Es ist in der Ausstellung »Blickfeld 2.0« stets das gleiche Kompositionsprinzip, mit dem Silke Miche ihrem Alltag Kunst abgewinnt. Kleine Dinge des Umfelds wandeln sich in Farbraster, denen man nur noch auf den zweiten Blick ihre Herkunft ansieht. Flecke, Kleckse, Schlieren, Fließspuren entheben sie zusätzlich der Realität, lösen die oft strenge Geometrie der Anordnungen in eine verfremdete Gegenständlichkeit auf. Der auf die Fläche projizierte Raum erhält durch perspektivische Sicht seine Tiefe zurück und wirkt dabei bisweilen wie eine farbig verwandelte Architekturzeichnung.

Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie studierte die 1970 geborene Nordhäuserin in Berlin, hatte zwischendrin Arbeitsaufenthalte in London, Petersburg, später in Tadschikistan. Von 1997 bis 2004 studierte sie Malerei und Freie Kunst an der Kunsthochschule Weißensee, war zwei Jahre Meisterschülerin bei Hans Schimansky, bis 2010 dann Stipendiatin der Käthe-Dorsch-Stiftung. Knapp ein Dezennium schon stellt sie aus, vorwiegend in ihrer Wahlheimat Berlin, auch in Halle und Magdeburg. Das ARD-Haupstadtstudio bietet ihr die sechs Etagen seines schluchtähnlichen Innenhofs für fast 30 Bilder in Acryl und Öl, entstanden alle 2009 und 2010.

Viele zeigen normierte Hausfassaden von acht oder mehr Etagen, deren Einerlei Silke Miche entweder frontal oder angeschrägt wiedergibt und die nach unten hin in eine Farbfläche auslaufen. Einzelne Fenster fleckt sie farbig, ocker, rot, gelb, pink, grün, hellblau, legt so über die Konstruktion eine unruhevolle Wirklichkeitsferne. »mountain« zeigt am rechten Rand den Rest eines Streifenmusters, vor dem sich links ein strukturierter, beinah widerborstiger Farbberg türmt, als wollte er jeden Moment aus der Komposition herausspringen. Die »Fünf Türme«, in Klein- und Großformat ausgestellt, mit Weiß als Basis, bestehen lediglich aus horizontalen Farbstrichen mit breitem Pinsel, denen Querstriche das streng Geordnete nehmen. »running around«, quadratisch mit einem Meter als Seitenlänge, wirbelt in grauem Doppelkreis Farben durcheinander, als seien sie durchs Bullauge der Waschmaschine sichtbare Kleiderstücke beim Schleudergang.

Mehr als 20 der Arbeiten sind im Parterre zu besichtigen. Was »Wartezone« heißt, enthält schlicht auf mehreren Konsolen Schuhe, Latschen und weitere durch ihre Farbcodierung kaum mehr identifizierbare Gebrauchsgegenstände, die künstlerisch in der Zusammenschau, nicht aber im Detail einen Sinn ergeben. Auf anderen Bildern scheinen sich Farben wie schmale Magmaschichten gegeneinander zu schieben, nehmen dabei eine Art Baracke in die Mangel. Das Motiv Bad oder Diele greift eine nächste Arbeit auf: In der unteren Hälfte hängen farbverfremdet und dicht bei dicht auf Bügeln Kleider, darüber lagert in weißen Regalen farbige Wäsche.

Fast biedermeierlich geruhsam wirken diese Einblicke in die private Haushaltsführung, wäre da nicht ihre geballte Farbigkeit. Auch Bücherstapel haben es Miche angetan, wobei sich das Interesse auf die Farbe des Einbands und das Weiß der Seiten dazwischen bezieht, nie auf einen möglichen Buchinhalt. Insofern können die Bilder ein grafisches Moment nicht leugnen, auch von der bestenfalls durch Unterlage und Wand skizzierten Raumtiefe her.

»Fernblick« hält wieder perspektivisch eine Balkonfront fest, der als weiße Kreise Satellitenschüsseln Gliederung geben; »Crossover« bringt Tasche und Bett zusammen, vermittelt durch reine Farbflächen; vor einem Bücherbord richtet sich bedrohlich riesig ein schwarzer Rucksack auf. Oder es dehnen sich bis ins Weite Bildschirme in einer Bürolandschaft.

Bis 2.9., ARD-Hauptstadtstudio, Wilhelmstr. 67a, Telefon 22 88 11 00 (Voranmeldung erforderlich), Infos im Internet unter: www.ard-hauptstadtstudio.de

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