Distanzierte Zeitblicke
Ausstellung mit Fotografien Ulrich Burcherts in der Brotfabrik
Gewalt kontra Liebreiz: Behelmt und gepanzert warten vor einer Hauswand zwei Polizeitrupps auf den Befehl zum Losstürmen, hinter ihnen lächelt von einem Werbeplakat die hellblonde Claudia Schiffer in Spitzendessous. Solch ironische Zuspitzungen sind typisch für die Aufnahmen des Berliner Fotografen Ulrich Burchert, dem die Galerie in der Brotfabrik ihre zweite »Zeitblicke«-Ausstellung gewidmet hat: ein fotografischer Rückblick in die DDR und ein aktueller Einblick ins jetzige Deutschland.
In der Schau sind Bilder aus 40 Jahren versammelt, eine Chronik der Zeit von 1970 bis 2010, wie der ostdeutsche Fotograf Ulrich Burchert sie sah und sieht. Dass er, im Gegensatz zu Kollegen wie Roger Melis, Helga Paris oder Gundula Schulze-Eldowy, (noch) relativ unbekannt ist, erstaunt – denn seine durchweg in Schwarz-weiß gehaltenen Aufnahmen sind hervorragend komponiert, auf nüchterne Art stimmungsvoll und pointiert. Burchert erzählt mit einem einzigen Bild eine ganze Geschichte, weil er nicht nur im richtigen Moment auf den Auslöser drückt, sondern den Blick hat für Kontraste und Ironie.
Ob die drei Putzkräfte, die sich 1987 in einem Saal des Magdeburger Maschinenbau-Kombinats »Ernst Thälmann« eine Zigarettenpause unterm abgehalfterten Weihnachtsbaum gönnen, oder der blutjunge NVA-Soldat mit dem skeptischen Blick auf dem Feld – immer transportieren Burcherts Fotos neben dem Offensichtlichen noch eine zweite Ebene oder eine bestimmte Stimmung. Dabei steht der Alltag der Menschen im Mittelpunkt. Burchert ist kein Fotograf der Reichen und Schönen, vielmehr dokumentiert er seit den 70er Jahren die »kleinen Leute«: Viele seiner Aufnahmen aus den 70er und 80er Jahren zeigen Menschen an ihren Arbeitsplätzen, an Maschinen, hinterm Schreibtisch, in großen Hallen, ebenso aber beim Feierabendbier in der Kneipe oder beim Tanz in der Markthalle am Alexanderplatz. 1972 aufgenommen, erlaubt dieses Foto den Blick in eine ferne, längst vergangene Zeit, als die Männer den Zigarettenstummel nicht einmal zum Tanzen aus dem Mund nahmen.
Mit distanziertem Blick und fernab von propagandistischem Pathos, dabei aber pointiert und genau hat Burchert diese Porträts aus dem Arbeitsalltag der DDR festgehalten, ebenso die bleierne Vorwendezeit, und selbst in den wenigen hier gezeigten Aufnahmen aus der Nacht des Mauerfalls liegt keine Euphorie, sondern vielmehr nachdenkliche Spannung. Vielleicht ist diese gekonnt nüchterne Herangehensweise Burcherts technischer Berufsausbildung geschuldet – der gebürtige Berliner arbeitete als Hilfsarbeiter und Schlosser und absolvierte ein Abendstudium als Ingenieur, bevor er 1969, mit knapp 30 Jahren, in die »Gruppe Jugendfoto« des Zentralrats der FDJ eintrat, als Bildreporter zu arbeiten begann und Mitglied des Verbandes Bildender Künstler wurde. 1996 fiel Burchert für acht Jahre in die Arbeitslosigkeit, nutzte die Zeit aber für weitere Studiengänge und arbeitet seit 2004 wieder als freiberuflicher Reporter in Berlin. Aufnahmen aus den letzten Jahren, sozialkritisch und dabei ebenso genau beobachtet und hintergründig wie die früheren, zeigen, dass er seinen großartigen Stil beibehalten hat. Man wünscht sich weitere Ausstellungen dieses Chronisten!
Bis 5. September, geöffnet tägl. 16-21 Uhr; Brotfabrik, Caligariplatz 1, www.brotfabrik-berlin.de
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