Ateliers im Milchhof
Die Identität des Tiers
Weit weg von der Hektik und Hysterie der Galerie-Hauptachse um die August- und Brunnenstraße liegt der ruhige alte Schulhof, in dem seit Jahren die Ateliergemeinschaft Milchhof arbeitet und ausstellt – und ist doch nur wenige Minuten von der Kastanienallee entfernt. Schon der große Kastanienbaum neben dem ehemaligen Schulgebäude im hinteren Teil der Schwedter Straße, die Skulpturen drum herum und das Gewächshaus für zeitgenössische Kunst lohnen den Besuch, erst recht aber der rundherum einsehbare Glaspavillon, in dem sich bis Juli 2011 jeweils zweiwöchige Ausstellungen abwechseln.
»24/34/16« nennt sich die Reihe, mit der die Ateliergemeinschaft den Pavillon für externe Künstler aus dem In- und Ausland öffnet: 24 Milchhof-Künstler kuratieren 34 Ausstellungen in 16 Monaten. Momentan sind zwölf Bilder von Corinne Chambard zu sehen, die auf Einladung des Milchhof-Künstlers Klaus Scheckenbach detailreiche, fein gemalte Tier- und Menschenporträts zeigt, in deren Mitte sich jeweils ein weißer Fleck befindet. »Who wants to be...« heißt der Tierzyklus, der sowohl mit Identitäten und der Suche nach dem Eigenen im Fremden spielt als auch mit Zuschreibungen und Klischees. Der dazugehörige Text erinnert formal an Kinderverse und handelt vom Recht des Stärkeren, vom Kreislauf des Fressens und Gefressenwerdens.
»Wer möchte eine Spinne sein? Die Spinne wird von dem Frosch gefressen. Der Frosch wird von der Ratte gefressen« beginnt der Text, der reihum sämtliche zwölf Protagonisten der realistisch und minutiös gezeichneten Bilder aufzählt, von Hund und Löwe über Philosoph und Künstler bis zum Hai mit seinem zahnreichen Grinsen.
Wie schon in anderen Serien, bezieht sich die Pariser Künstlerin mit ihren Porträts auf historische Tierstücke, das leere Oval in der Gesichtsmitte aber wirft Rätsel auf und lädt dazu ein, sich in das Wesen des Porträtierten hineinzudenken. Corinne Chambard, die u.a. bei Georg Baselitz lernte, nutzte diese Technik bereits mehrfach: In einer anderen »Who wants to be?«-Schau stellte sie auf gleiche Weise die Größen der internationalen Politik dar, wobei sich der Betrachter in die Rolle der Staatenlenker hineindenken sollte. Sämtliche zwölf Bilder sind gut zu sehen, wenn man den Pavillon umkreist, der räumliche Abstand und das Gefühl, wie ein Voyeur durch die dicke Glasscheibe zu spähen, erzeugen eine spezielle Atmosphäre des Sehens.
Am 13. August beginnt die nächste Schau mit Arbeiten von Julia Krewani und Christine Würmell, die ebenfalls zwei Wochen laufen wird. Den schmucken, klar gegliederten Pavillon, der im September 2009 eröffnet wurde, haben sich die Künstler des Vereins Milchhof übrigens aus selbst erwirtschafteten Überschüssen geleistet.
Den harten Winter hat der rechteckige, leicht erhöht stehende Bau mit dem Flachdach gut überstanden, erzählt Projektleiterin Doris Knöfel zufrieden. Gegenüber, auf der anderen Seite des zum ehemaligen Schulgebäude führenden Wegs, steht ein Gewächshaus, in dem ebenfalls zeitgenössische Kunst ausgestellt wird – und auch sonst lohnt sich ein kleiner Rundgang, um die vielen Skulpturen und Objekte zu bewundern.
Pavillon am Milchhof, Schwedter Str. 232, Mitte, Infos unter Tel. 030 / 50 59 23 38 oder im Internet unter www.milchhof-berlin.de
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