Auch Sie fragen mich doch nur wegen des Rummels! Oder?
Friedrich Schorlemmer über Luther als Zwerg, Gottesfiguren bei Barlach und die Reformations-Dekade
ND: Herr Schorlemmer, kann es sein, dass Sie ein wenig humorlos sind?
Schorlemmer: Wer sich mit Luther befasst und keinen Humor hat, ist schlecht dran. Hier geht es um Geschmack. Und über Geschmack kann man streiten. Es gibt wunderbare Zeugnisse von Luthers Freiheit zur Selbstironie. Die Welt war mir stets zu ernst, als dass ich sie mit irgendwelcher seichter Ablenkung zuschütten oder scheinbar aufhellen wollte. Sich mit Flachheit über die Welt hinwegzuhelfen, war nie meine Art, mit den Dingen fertig zu werden.
Die Aktion »Martin Luther – Hier stehe ich ...« geht auf eine Anregung der Geschäftsstelle »Luther 2017« der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurück.
Es ist nichts weiter als die Einladung zu einer Aufmerksamkeitsorgie. Nach dem Prinzip: »auf dass der Markt voll werde«, in Abwandlung eines Bibelwortes. Die Sache, um die es hier zu gehen hätte, wird durch Plaste verstellt.
Der Gegenstand verträgt keine Installation?
Installation? Das Anliegen Martin Luthers wird verzwergt, es wird zu einem netten, kleinen Nichts. Wie soll man nach einem solchen Event wieder zur Sache zurückkehren?
Die Sache – was ist das?
Wir haben hier in Lutherstadt Wittenberg seit Längerem darüber nachgedacht, wie wir geistig, kulturell 2017, also fünfhundert Jahre Reformation vergegenwärtigen können, wie wir bis dahin die Grundanliegen der Reformation reflektieren, einschließlich ihrer so wunderbaren wie problematischen Geschichte.
Eine Art der protestantischen Selbstvergewisserung.
Aber die Werbeleute haben sich durchgesetzt: Luther ist gewissermaßen der Lockvogel, und aus dem ursprünglichen Gedanken einer Reformations-Dekade wurde eine Luther-Dekade. Und nun stellt man Zwerglein hin und nennt sie Botschafter. Wobei ich nicht weiß, welche Botschaft die Zwerge haben. So kommt der Reformationsgedanke nicht auf die Straße, nicht zu den Menschen. Er kommt nur zu Konsumenten, er kommt just in der Stadt Luthers auf den Hund. Keine Glorifizierung Luthers, aber auch keine Verniedlichung und Banalisierung!
Sie erfuhren den Zwerg-Plan aus der Zeitung?
Ja, am letzten Silvestertag. Ich wollte sofort reagieren, aber mein Nachbar warnte mich, er meinte, das sei ein Silvesterscherz, und ich würde mich lächerlich machen mit einer Kritik. Aber es war leider kein Scherz.
Man kann die Luther-Figuren für 250 Euro kaufen.
Ich habe darauf mit einer Glosse geantwortet. Da dieser Gummi-Luther nichts im Kopf habe, böte sich ein Schädelschlitz an: »Wenn das Geld im Köpfchen klingt, Luther aus dem Zwerglein springt.« Wenn man 50 Cent reintut, predigt er gegen Vogelfänger. Für 2 Euro wütet er gegen Papst, Juden und Türken. Für 10 Euro hört man ein Gleichnis, das zum Sinnbild des real existierenden Kapitalismus geworden ist, wo es am Schluss heißt: »Wer hat, dem wird gegeben. Und wer nicht hat, dem wird auch noch genommen, was er hat.« Wer 50 Euro zu berappen bereit ist, für den singt Luther: »Ein feste Burg ist unser Schrott.«
Der Künstler selbst hat zu seinen Werken nichts gesagt.
Wer Gartenzwerge produziert, zu Tausenden, und Hasen und Erdmännchen, auch Gartenzwerge mit Hitler-Gruß – nur so, als Provokation ... was könnte der sagen?
Heine schrieb, Luther sei ein Riese.
Nun kann er einem leidtun. Denn Sie sehen ja, die Zwerge sind ihren Medienrummel wert, und sie erreichen diesen Rummel. Vom Kick zum Kiki. Und zum Rummel gehört die Kritiker-Fraktion, und deshalb werde ich jetzt von Ihnen interviewt.
Das stimmt. Der Teufelskreis der Meinungsindustrie. Lassen Sie uns deshalb über das reden, was unmittelbar mit dem zu tun hat, was Sie den Gedanken der Reformation nennen. Die Botschaft der Reformation Lutherscher Prägung.
Es sind vier Punkte. Erstens: die Verteidigung des Individuums gegen vereinnahmende Institutionen. Zweitens: die Konzentration auf die Bibel, aus deren Menschenwort das Gotteswort hörbar wird, oder wie man sagt: aus der die Wahrheit aus den Wahrheiten hervorscheint; die Bibel ist nicht Gott, er scheint hervor. Das Dritte ist die Gewissensbindung des Einzelnen, die durch keine äußere Macht – weder kirchliche noch staatliche – in Frage gestellt werden kann. Und viertens, und das ist vielleicht das Wichtigste: Luthers Erkenntnis, dass der Mensch als Mensch etwas gilt, und zwar unabhängig von und vor jeder Leistung. Der Mensch lebt aus dem Empfangen. Er lebt nicht aus Angst vor Gott, sondern aus Gottvertrauen. Luther sagte 1518, Gott sehe den Menschen nicht an, weil der schön und liebenswert sei, sondern der Mensch sei schön und liebenswert, wenn Gott ihn ansieht.
Gibt es gottlose Zeiten?
Nein, nur gottferne.
Es gibt den Begriff der Gottesfurcht. Ist Furcht das gleiche wie Angst?
Angst ist ein Grundgefühl, das in uns schlummert und aufbrechen kann.
Die Angst, nicht mehr man selber zu sein.
Oder auch die Angst, man selber zu sein.
Und was ist nun Furcht?
Furcht als Gottesfurcht ist Respekt, Zuneigung, Verehrung, ehrender Abstand. Wenn ich Gottesfurcht beschreiben sollte, besser Gottesfürchtigkeit, dann mit den beiden großartigen Gottesdarstellungen bei Barlach. Gottvater, der geöffnete Hände hat, die gleichzeitig etwas Einladendes wie Abstand Gebietendes haben. Und dann zweitens die Jesusfigur, die er wie einen Buddha schuf. »Der Lehrende« heißt das bei ihm; Jesus: Leere Hände auf den Knien, er schaut in die Weite. Also, das Faszinosum der Gleichzeitigkeit: Komm her – aber komm mir nicht zu nahe! Wenn man von Gott redet, kann man eben nicht von »Papa« reden.
Gibt es richtige und falsche Religiosität?
Religiosität ist ambivalent. Sie hat Schattenseiten. Christlich gesehen, ist Religiosität erst dann richtig, wenn sie gemeinschaftsbezogen bleibt, wenn sie am elementaren Lebensrecht aller orientiert bleibt. Sie muss wissen, dass wir nicht, mit Hilfe eines Gottes, die Herrscher der Welt sind, sondern Nutznießer von Gegebenem – mit Begabung, dieses Gegebene auch umzuformen.
Uns damit gewissermaßen aus dem Kreatürlichen zu erheben.
Ohne uns freilich einzubilden, es verlassen zu können.
Wenn man Sie über Glauben reden hört, dann denkt man, es sei ein anderes Wort für Vertrauen.
Indem ich glaube, vertraue ich meinem Gefühl – des Staunens, der Dankbarkeit, der Lobpreisung des Geheimnsivollen im Dasein. Man kann das mit dem schönen Bild vom Wanderer am Meer ausdrücken: Es gibt hinter dem, was deine Augen da vorn auf den Wassern, bis zum Horizont sehen, noch eine dritte Dimension: hinter den Bildern etwas, das sich nicht messen und wiegen lässt.
Das aber Grundsicherheit gibt, Urvertrauen?
Niemand weiß am Ende, was wirklich trägt.
Zu Luther gehört auch der Widerstand gegen den Ablasshandel.
Hochaktuell in einer Zeit, in der alles käuflich ist und vor jedes Ding (und Menschen!) ein Preis gesetzt ist! Diese Käuflichkeitsideologie steckt auch in besagten Zwergen, die ebenfalls ihren Preis haben. Auch dieser Event soll sich ja rechnen. Ein Ablasshandel ganz eigener Art. Er nährt die Illusion, man hätte etwas von Luther angeeignet und begriffen.
Die Aktion bedient sich der Wendung » ... hier stehe ich«.
Das ist die einzige Wahrheit dieser Sache: Der Zwerg steht da. Mehr aber nicht. Luther-Botschafter! Ich will wissen, wofür er steht, nicht, dass er da steht. Es geht nicht um Luther als Figur, die in Serie geht, sondern um eine geistige Herausforderung, die noch nicht zu Ende bedacht, gelebt ist.
Nippes – so geht es Goethe in Weimar und Mozart in Salzburg.
Statt Verfremdung Verulkung. Der Mozartkugel folgt der Luther-Lutscher. Eine Frage der Zeit. Einfalt hat immer den längeren Hebel.
Früher gab es Einfalt, die sich untätig verhielt und deren träge Ruhe doch, auf ihre Weise, eine gewisse Lebensklugheit verriet.
Heute stößt man auf eine medial angestachelte Einfalt, die rastlos schuftend, mit nicht nachlassender Energie, alles angreift und zugrunde richtet. Wie die Event-Gesellschaft mit der Seele, dem Denkvermögen des Menschen umgeht, das ist zynisch. Die Maßstablosigkeit geht um wie ein Gespenst.
Herr Schorlemmer, hatten Sie als Kind ein Lieblingsmärchen?
Ja, »Hänsel und Gretel«.
Das dachte ich mir.
Was dachten Sie sich?
»Zwerg Nase« war es nicht!
Interview: Hans-Dieter Schütt
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