Schlanke Taille statt runde Hüften
Zwei Trachtenberaterinnen wollen das Image der fränkischen Tracht aufpolieren
Dirndl und Lederhosen sind alles andere als verstaubte Traditionsgewänder. Sie sind »in« – beim Oktoberfest in München sowieso und zunehmend auch auf Volksfesten und Kirchweihen in Franken. »Viele Menschen wünschen sich für diese Gelegenheiten einen eigenen Kleidungsstil«, sagt Birgit Jauernig. Sie ist Trachtenberaterin des Bezirks Oberfranken – und will diesen Trend zum Dirndl nutzen, um auch die fränkische Tracht wieder ins Bewusstsein zu rufen. Denn die galt lange als »bieder und altbacken«, wie Jauernigs mittelfränkische Kollegin Evelyn Gillmeister-Geisenhof ergänzt.
Die Trachtenberaterinnen setzen deshalb auf eine Erneuerung und sanfte Modernisierung der traditionellen Gewänder, erarbeiten mit erfahrenen Schneiderinnen Entwürfe und Schnitte. Denn: »Tracht war ja nie etwas Statisches«, sagt Gillmeister-Geisenhof. Mit dem Dirndl-Boom – die Kleider gibt es in allen Formen und Farben mittlerweile als Massenware im Kaufhaus – sei auch das Interesse an regionalen Trachten gestiegen, hat Jauernig beobachtet: »Wir kommen im Moment kaum nach.« Vor allem Musikkapellen, Vereine oder Frauen aus dem öffentlichen Leben hätten Interesse an einer Tracht. »Viele sagen: Ich könnte ein Dirndl anziehen, aber schöner wäre etwas Oberfränkisches.«
Wobei es die oberfränkische Tracht als Oberbegriff eigentlich gar nicht gibt. Grundsätzlich trugen Frauen in Oberfranken früher zwar einen ein- oder zweiteiligen Miederrock, darunter ein Frauenhemd mit meist langen Ärmeln, ein Schultertuch und eine Kopfbedeckung. Dieses »Grundgerüst« variierte aber je nach Region – eine Coburgerin trug eine andere Kleidung als eine Kulmbacherin – oder Konfession. »Die Leute wollten sich unterscheiden, Katholiken wollten anders aussehen als Protestanten«, sagt Jauernig.
Jahrzehntelang habe man in Oberfranken die Tracht häufig nur als Kostüm gesehen, das beim Trachtenumzug gezeigt wurde, aber danach ganz schnell wieder im Schrank verschwand. Lediglich in einigen Orten der Fränkischen Schweiz sei die Tracht regelmäßig getragen worden. In Oberbayern dagegen sei das Dirndl immer präsent geblieben: »Es wurde immer daran gearbeitet, das ist das Erfolgsrezept des Dirndls.«
Jauernig aber will die Menschen nun nicht in historische Gewänder kleiden, sondern die Tracht in Oberfranken »zeitgemäß, attraktiv und in der Region verwurzelt« gestalten. Dafür werden die historischen Vorlagen beispielsweise in Museen genau begutachtet und an die heutigen Vorstellungen angepasst. »Heute sind die Menschen hochgewachsen. Früher dagegen galten runde Hüften und wohlgenährte Frauen als Maßstab, das trifft heute nicht mehr zu, das Ideal ist eher schlank und sportlich. Hüftpolster und die tiefen Stehfalten an den Röcken werden deshalb weggelassen, damit die Silhouette zeitgemäß aussieht.« Und auch auf manches Accessoire werde verzichtet: »Wer will heute schon noch mit Haube herumlaufen?«
Um die Theorie in die Praxis umzusetzen, also aus den Entwürfen für ein modernes Trachtengewand auch tatsächlich ein Kleid werden zu lassen, hat Jauernig sich um ein Netzwerk aus Händlern und Herstellern bemüht. Wichtig sei zum Beispiel auch, welche Stoffe geeignet sind: »Man muss das sehen, fühlen und anprobieren.« Der einfachste, aber auch teuerste Weg zur modernen Variante der oberfränkischen Tracht führt zur Schneiderin: Eine erneuerte Coburger Festtagstracht, von einer Damenschneiderin aus gutem Material maßgeschneidert mit Rock, Schürze, Mieder und Bluse kostet 580 Euro, wie Jauernig vorrechnet: »Das ist eine Sache für viele Jahre.« Zudem könne eine Tracht leicht geändert werden, wenn die Trägerin zu- oder abnimmt.
Günstiger werde eine Tracht, wenn man einen einfachen Baumwollstoff verwendet – oder einen Trachtennähkurs besucht, um sich sein Gewand selbst zu schneidern. Bald soll es auch Schnitte zum Selbernähen geben. Evelyn Gillmeister-Geisenhof hält in der Trachtenforschungs- und Beratungsstelle in Schwabach eine Kollektion von zehn Modellen bereit. »Pro Tracht« heißt ihr Projekt, die Entwürfe mit fließenden und leicht schwingenden Röcken und schmalen Taillen wirken tatsächlich nicht wie historische Kostüme, sondern orientieren sich an den heutigen Vorstellungen einer guten Figur. Kundinnen, die sich so ein Kleid nähen lassen wollen, können beim Schnitt auch eigene Wünsche einbringen.
Mehr als 300 Euro soll ein Kleid aus der »Pro Tracht«-Kollektion nicht kosten, produziert wird ausschließlich in Mittelfranken. Die Resonanz sei gut, sagt Gillmeister-Geisenhof. Etwa aus der Gastronomie gebe es Anfragen, um Servicepersonal entsprechend regionaltypisch einzukleiden: »Warum soll ein fränkisches Schäuferla nicht im oberbayerischen Dirndl serviert werden?«
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