Leitmotiv HIV-solidarisch

Beim Life Run, dem Benefizlauf der Aids-Hilfe, gingen trotz Regens 79 Teilnehmer an den Start

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist nicht der längste Lauf, es ist nicht der bekannteste Lauf – aber es ist ein Lauf mit besonderer Botschaft. Deshalb haben ihm seine Organisatoren einen hintergründigen Namen gegeben: Life Run, Lebenslauf. Am Samstagmorgen gehen im Berliner Volkspark Friedrichshain 79 Läuferinnen und Läufer auf eine zehn Kilometer lange Strecke. Es regnet in Strömen, der Wind zerrt an ihren Trainingshemden, auf der Strecke haben sich große Pfützen gebildet, doch Ralph Ehrlich lacht und wirkt glücklich.

Der 47-Jährige hat den Life Run ins Leben gerufen. Laufen fürs Leben, das ist auch Ehrlichs Leitmotiv. Er schätzt, dass 20 Prozent der Teilnehmer im Friedrichshain wie er HIV-positiv sind. Für sie gehe es nicht nur um den Sieg – sondern um Solidarität für eine oft vernachlässigte Minderheit: »Ich freue mich besonders, dass durch diesen Lauf Grenzen, Ängste und Diskriminierung sportlich überwunden werden.«

Ralph Ehrlich ist auch ehrenamtlicher Sprecher der Berliner Aidshilfe. Wochenlang hatte er in seinem Büro im Stadtteil Charlottenburg Anmeldeanträge beantwortet, Partner gesucht und Verpflegung bestellt. Vor zwei Jahren hatte er eine Laufgruppe für HIV-Positive gegründet. Ihre Mitgliederzahl wächst. Doch einfach ist die Aufbauarbeit nicht, ein Beispiel ist die Sponsorensuche. »Viele habe ich mehrmals kontaktiert, aber zurück kam nichts«, berichtet Ehrlich. »Scheinbar sind da noch immer Berührungsängste.« Immer wieder muss er die gleichen Fragen beantworten: Kann man mit HIV laufen? Besteht Ansteckungsgefahr, wenn man einen Läufer nach einem Sturz berührt?

Ralph Ehrlich ist groß gewachsen, drahtig. Er spricht mit seinem ganzen Körper. Auch gegen die Klischees. Doch es ist nicht lange her, dass er sich zu Hause einschloss, zweifelte und grübelte. 1995 hatte er seine HIV-Diagnose erhalten. Sein Arzt gab ihm noch drei oder vier Jahre zu leben. Ralph Ehrlich dachte an alles, nur nicht an Sport. »Ich habe geglaubt, mein Leben wäre vorbei. Der Sport hat mir dann enorm geholfen.«

Im Volkspark Friedrichshain erinnert nichts an die Resignation von damals. Vor fünf Jahren entwickelte Ehrlich einen neuen Antrieb. Er stellte seine Ernährung um, und er tat das, was er sonst nie tat: Sporttreiben. Er lief einfach los, immer öfter, immer länger.

2007 wurde Ehrlich Mitglied eines Projektes: 20 HIV-Positive trainierten für den Berlin-Marathon. Seine Freunde fürchteten, er werde sich zu Tode rennen. Doch auf der Strecke kam es im Spätsommer 2008 ganz anders: »Als ich die Marke der 40 Kilometer passiert hatte, habe ich vor Freude nur geheult. Das Laufen hat mir die Angst genommen und bewusst gemacht, dass ich an dieser blöden Infektion so schnell nicht sterben werde. Das war der Wendepunkt.«

Die Blutwerte von Ralph Ehrlich haben sich verbessert, Monat für Monat. Er hat Muskeln aufgebaut, er hat Immunsystem und Ausdauer gestärkt. Und er hat viele Glückshormone freigesetzt. Sport als Stütze der Therapie? Der Mediziner Bernhard Bieniek hat vor zehn Jahren eine Schwerpunktpraxis für Infektionskrankheiten eröffnet. »Früher, als es die guten Medikamente noch nicht gab, war die Furcht sehr viel größer und die Leute haben aus Verzweiflung nach Strohhalmen gegriffen, auch nach Sport«, sagt Bieniek. »Seit HIV besser behandelbar ist, wird es von den meisten nicht mehr zum Anlass genommen, den Lebensstil besonders gesund zu gestalten.«

Wie viele Sportler sind gezwungen, im Verborgenen mit dem Virus zu leben? In der Fußball-Kreisklasse, in der Betriebs-Turngruppe oder am Samstagmorgen auf der Laufstrecke im Volkspark Berlin-Friedrichshain? Einige von ihnen werden ausgegrenzt, in Familie und Beruf. Gibt es für sie ein ausreichendes Sportangebot? »Nein, gibt es nicht«, sagt Ehrlich und verweist auf eine Schwimmgruppe, die ebenfalls von der Berliner Aidshilfe unterstützt wird. »Die Gruppe badet allein in der Schwimmhalle. Weil sich andere Schwimmer zuvor beschwert hatten.«

Die Berliner Aidshilfe möchte in einem eigenen Sportverein für Bewegung werben. So wie beim Life Run. »Es sind einige Leute dabei, die mit Depressionen zu kämpfen haben«, sagt Ehrlich. »Durch Sport blühen sie wieder auf.« Er kann das beurteilen, ihm erging es selbst so.

www.berlin-aidshilfe.de/

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