Vor dem Urknall

Vor 50 Jahren begann die Popgruppe The Beatles ihre Weltkarriere an der Hamburger Reeperbahn

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.

Man kann nun lange diskutieren, wer hier kleinlich war. Die Stadt Hamburg, die für die Würdigung ihrer berühmtesten Adoptivsöhne nicht tief genug in die Tasche greifen wollte. Oder Paul McCartney, der von einer absurden Gagenforderung partout nicht abrückte. Eine Million Euro soll der Ex-Bassist der englischen Popgruppe The Beatles laut Medien verlangt haben – für einen Gastauftritt bei seinem eigenen Jubiläum. »All you need is Love«, möchte man dem Milliardär da die eigene Textzeile zurufen. Nun spielt also nicht der Pate des Pop zu Ehren des ersten Beatles-Auftritts vor 50 Jahren in Hamburg – sondern die leidlich angemessene Ersatzband »Bambi Kino«.

Ohne in Glorifizierung verfallen zu wollen: Solch gnadenlose Gehaltsverhandlungen mit der Stadt, in der man musikalisch groß wurde, will man McCartneys ehemaligem Mitstreiter John Lennon einfach nicht zutrauen. Wobei es natürlich ebenso falsch wäre, Lennon auf die Love-and-Peace-Ikone zu reduzieren, als die er 1980 vom schrecklich banalen »Catcher in the Rye«-Fan Mark Chapman in New York erschossen wurde.

Vor 50 Jahren, in der Hamburger Musik-Kaschemme »Indra«, begann die größte aller Karrieren der Popgeschichte, hatte eine gerade The Beatles benannte Kombo ihren ersten Auftritt. Und auf den kleinen Bühnen und in den schäbigen Absteigen an der Großen Freiheit der Hansestadt war Lennons Rolle noch eine andere als die des späteren Hippie-Großmeisters. Hier war er der großmäulige und nicht gerade pazifistische Rabauke – auch wenn sich sein intelligenter zynischer Humor schon damals bemerkbar machte.

Diese Zeit auf der Reeperbahn, die raue, schmutzige und schweißtreibende Rock-Routine, bildete die Basis, auf der die späteren Kompositionsgenies und Soundtüftler Lennon und McCartney aufbauen konnten. Hier wurden sie durch Auftritte im Akkord, Elend und gemeinsame Sex- und Drogen-Erlebnisse zur Band geschmiedet. Hier schufen sie die handwerkliche Basis für das, was mit der LP »Sgt. Peppers« gekrönt und mit dem letzten Album »Abbey Road« angemessen beendet wurde. Hier wurde der Urknall des Pop vorbereitet.

Zwischen Reeperbahn und Popolymp lagen aber nicht nur Welttourneen, revolutionäre Studioaufnahmen und Stil prägende Frisuren. Parallel zum Beatlesaufstieg wurden die Kennedys und Martin Luther King ermordet, wurde der Vietnamkrieg eskaliert, die sexuelle und psychedelische Revolution angezettelt, folgte einer heftigen Politisierung eine ebenso radikale Abkehr ins Private, Alternative und Esoterische. Die Beatles erlebten und begleiteten all dies, sie schrieben den Soundtrack zu einem der schrillsten Jahrzehnte der Neuzeit, das sie gleichsam mitprägten.

Obwohl sie bereits zu Beginn subversiver waren, als sie heute oft betrachtet werden: Das Bild der vorgeblich unschuldigen, von Manager Brian Epstein mit Anzügen versorgten Musterknaben von 1962 spiegelt den damaligen optimistischen Zeitgeist gut wieder. Noch besser symbolisieren die vier abgekämpften Hippie-Individualisten, die 1970 den Zebrastreifen der Abbey-Road überqueren, die in der Band wie auch gesellschaftlich mittlerweile vollzogene Desillusionierung und Vereinzelung.

Bereits 1966 nehmen die Beatles Abschied von der Bühne. Sie beenden damit nicht nur eine sechsjährige durch die Konzertarenen dieser Welt führende Ochsentour. Mit der Entscheidung, sich ganz und gar der Studioarbeit und der Komposition zu widmen, reagierten die Musiker einerseits auf akustische Realitäten: wegen weiblichem Dauergekreische hörte man die Band einfach nicht mehr. Andererseits schufen sie sich einen kreativen Freiraum, um mit bis dahin ungehörten Harmoniefolgen und Instrumentierungen zu experimentieren – dabei aber gerade noch so weit auf dem Teppich zu bleiben, dass statt 20-minütiger Trancedudelei bis heute berührende dreiminütige Songperlen entstanden.

Spätestens bei »Rubber-Soul« und »Revolver« von 1965/66 wird zudem der (musikalisch durchaus positive) Einfluss von Marihuana und LSD unüberhörbar. Diese Phase mündet im großartigen Album »Sgt. Peppers« von 1967, dem Soundtrack zum Summer of Love, dem bestaunten, kultisch verehrten, bis heute sowohl kompositorisch wie produktionstechnisch unerreichten Meilenstein der Popgeschichte. Das erklärte Vorbild, die LP »Pet-Sounds« der Beach-Boys von 1966, wurde geradezu deklassiert. Chef-Beach-Boy Brian Wilson soll nach dem Hören von »Sgt. Peppers« zunächst in Ehrfurcht erstarrt und dann in tiefe Depressionen verfallen sein.

Doch je weiter sich die Musiker von ihrem Saubermann-Image der Anfangsjahre entfernten, umso mehr Wut schlug ihnen entgegen. Als John Lennon es wagte, festzustellen, die Band sei nun berühmter als Jesus, brannten die Beatles-Platten in den USA. Der Killer-Hippie Charles Manson baute auf dem Beatles-Song »Helter-Skelter« gar eine rassistische Endzeitphilosophie auf. Entkräftet vom extremen kreativen Output, den Drogen, den konservativen Anfeindungen und allerlei esoterischem Unfug, belegen die vier Alben nach »Magical Mystery Tour« dann Läuterung und den (entgifteten) Weg zurück zu den Wurzeln.

Dem Ende der Band 1970 folgte eine unschöne Schlammschlacht. McCartney ist zudem in den folgenden Jahrzehnten immer wieder durch kleinliche Äußerungen zu den »eigentlichen« Songrechten aufgefallen, einst führte er Prozesse gegen sämtliche Bandmitglieder um die Beatles-Firma »Apple«. Aber er ist auch die tragische Figur der Beatles. Zwar starb der ihn stets überstrahlende John Lennon relativ früh, erwuchs aber durch das Attentat erst recht zu übermenschlicher Größe. Ein Fakt, den der 2001 an Krebs verstorbene Gitarrist George Harrison und vor allem Schlagzeuger Ringo Starr voll akzeptierten – beide traten in Sachen Beatles stets mit betonter Bescheidenheit auf. McCartney dagegen erschien lange als Getriebener in eigener Sache. Erschwerend dabei war, dass keiner der Ex-Beatles musikalisch je auch nur annähernd die im Kollektiv erreichte Qualität erreichen konnte.

Lennon glich das jedoch durch persönliches Charisma, die unermüdliche Yoko Ono und seine erfolgreiche Wandlung zur vom FBI observierten Protestikone aus – was wiederum sein musikalisch eigentlich nicht bedeutendes Nach-Beatles-Werk zum zu Recht hoch geschätzten Kultobjekt erhob. Eine Weiterentwicklung, die dem bis heute einfach »nur« Musiker gebliebenen McCartney nicht gelang.

Der Ausnahmestatus der Beatles ist künstlerisch fundiert und darum berechtigt, aber die Deutlichkeit mit der die vier Jungs alle folgenden Popphänomene auf ihre Plätze verweisen, ist schon etwas absurd. Noch das im Jahr 2000 Best-of-Album »1« wurde 29 Millionen Mal verkauft. Insgesamt sollen über eine Milliarde Tonträger der sympathischen Poppioniere über den Ladentisch gegangen sein. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Lange war der Einfluss von Lennon und Co. auf den Nachwuchs nicht mehr so deutlich zu hören wie in den Charts der letzten Jahre. Die Beatles scheinen von jeder Generation neu entdeckt zu werden.

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