»Dinge, für die wir töten«

Daniyal Mueenuddin blickt in die Seele seines Landes: Pakistan

  • Alice Werner
  • Lesedauer: 3 Min.

Pakistan: das Land der Überschwemmungskatastrophe. Aber auch vordem kamen schlimme Nachrichten von dort: gewaltsame Auseinandersetzungen, terroristische Anschläge, religiöser Extremismus. Vor solchem Hintergrund weitet der pakistanische Autor Daniyal Mueenuddin, 47, mit seinem Debüt den Blick in neue Vorstellungsräume. Sein satter, leidenschaftlicher Erzählband umfasst acht Geschichten, eröffnet auf begrenztem Raum eine eigenständige, komplexe Welt. Die Erzählungen, in sich abgeschlossen, sind gleichzeitig elegant miteinander verwoben und drehen sich, mal in engen, mal in weiten Kreisen, um den Clan der einflussreichen pakistanischen Landbesitzer- und Industriellenfamilie Harouni.

Unangefochtener Patriarch und Herr über ein immenses Vermögen ist der pensionierte Staatsbeamte K.K. Harouni: ein Herr alter Schule, zugleich ein unglaublicher Kindskopf und notorischer Schürzenjäger. Mit großer Kunstfertigkeit erzählt Daniyal Mueenuddin wie Mr. Harounis weitläufige Farm zum Mikrokosmos einer Welt zwischen Tradition und Moderne wird. Da ist zum Beispiel der alte Tagelöhner Rezak, der als Wächter in einem transportablen Wohnwürfel zwischen den Apfelbäumen seines Herrn lebt und für Film-sternchen mit »Atomhintern« schwärmt. Oder Nawab, Elektriker im Haushalt Harounis, der mit zahlreichen dubiosen Nebengeschäften seine zwölf Töchter ernährt und das Elektrizitätswerk so geschickt zu betrügen weiss, dass jeder seiner Kunden bis auf den Hundert-Rupien-Schein genau festlegen kann, wieviel er jeden Monat sparen möchte. Da sind des weiteren der Hausdiener Rafik, der für die Belegschaft Haschischpasteten bäckt, sobald der Patron auf Reisen geht, und seine Freundin Saalema, die in eine wilde Gemeinschaft aus Schmugglern und Erpressern hineingeboren wurde und Liebesaffären für merkantile Transaktionen hält.

Daniyal Mueenuddin führt acht tragische Helden zusammen, deren Leben durch die pakistanischen Klassenverhältnisse unerwartet eng miteinander verknüpft sind. Denn was ist die Crème de la crème ohne ihre Verwalter und Richter, ohne ihre Diener, Fahrer, Gärtner und Köche? Bestürzend kalt ist der Autor in seiner Schilderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, erschreckend ehrlich, was die Untiefen der pakistanischen Seele angeht. Ein Sprichwort ist seinem Buch vorangestellt, es lautet: »Drei Dinge, für die wir töten – Land, Frauen und Gold.« Und so sind Mueenuddins Figuren, vom einfachen Aufwischer bis zur Jet-Set-Lady, allesamt korrumpierbar und umschmeicheln, bestechen,manipulieren ihrerseits alles und jeden, wo es nur geht.

Mueenuddins literarisches Portrait seiner Heimat birst vor eindrücklichen Bildern, vor schmerzhaften Gewaltszenen, bitteren Worten. Und doch spricht aus seinen Erzählungen eine große, eine patriotische Liebe zu Pakistan, dem »Land der Reinen«. Etwa wenn er beschreibt, mit welch lärmender Herzlichkeit Alte und Kranke im Teehaus willkommen geheißen werden oder wie jedes Jahr zur Weizenernte ganze Dörfer nach getaner Arbeit unter den luftigen Blättern der Banyanbäume lagern, schwatzen, Wasserpfeife rauchen. Solch leuchtend ausgemalte Szenen versprühen einen betörenden Charme und verwandeln sich in funkelnde Lyrik, wenn der Autor den Duft der Mangoblüte oder die Schönheit einer Allee Rosenholzbäume in Sprache zu fassen sucht. Wer »Andere Räume, andere Träume« liest, meint, das Land Pakistan in all seinen Widersprüchen erahnen, spüren, riechen zu können.

Daniyal Mueenuddin: Andere Räume, andere Träume. Erzählungen. Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. Suhrkamp Verlag. 290 S., geb., 19,90 €.

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