»Verhütungsmittel müssen kostenlos sein«
Sybill Schulz vom Familienplanungszentrum Balance über die Bedeutung der Pille damals und heute
ND: Was raten Sie sehr jungen Frauen oder Paaren, die mit Fragen zum Thema Verhütung zu Ihnen kommen?
Schulz: Es kommen oft Mädchen oder junge Paare zu uns, die die Pille verschrieben haben wollen. Die Antibabypille ist die verbreitetste Verhütungsmethode. Dennoch beraten wir und schauen, welches das geeignete Mittel für das Mädchen, für das Paar, abhängig von der Lebenssituation und vom Sexualleben, ist. Es ist uns ein Anliegen, dass junge Menschen erfahren, wie sie mit ihrer Sexualität umgehen und wie sie sich schützen können.
Man stellt sich vor, die Jugendlichen wissen heutzutage genau Bescheid, zumindest über die Pille.
Über die Pille gibt es eine relativ gute Kenntnis, weil Jugendliche sich heute sehr stark über Internet informieren. Aber das birgt natürlich auch die Gefahr, dass falsche Informationen abgerufen werden. Man kann sagen, die Kenntnis über Verhütungsmittel ist besser geworden und doch nicht ausreichend. Die Jugendlichen gehen dennoch recht selbstbewusst mit dem Thema um. Wenn man aber detaillierter nachfragt, sieht man, dass Ängste vorhanden sind und die Souveränität ins Wanken gerät.
Dass eine 15-Jährige zu Ihnen kommt und sagt, ich hätte gerne ein Diaphragma, passiert wohl nicht so oft?
Nein, das ist eher selten, obwohl wir natürlich gleichermaßen über Barrieremethoden aufklären. Aber es gibt Unterschiede, Schicht- und Altersunterschiede. Die unter 20-Jährigen nehmen zu über 50 Prozent die Pille. Bei erwachsenen Frauen sind durchaus Unterschiede sichtbar – in Abhängigkeit von Bildungsgrad und Kenntnisstand über Verhütungsmethoden. Frauen, die bereits ihr erstes Kind geboren haben, denken eher über andere Verhütungsmittel nach.
In feministischen Kreisen ist die Verhütung mit der Pille weitgehend tabu. Welche Gründe hat das, die über medizinische Bedenken hinausgehen?
Einerseits haben Frauen mit der Pille die Chance bekommen, eine selbstbestimmte Sexualität auszuleben. Andererseits haben sie damit die alleinige Verantwortung übernommen. Feministische Kreise sagen aber, die Verantwortung liege bei beiden Geschlechtern oder bei allen Geschlechtern. Deshalb begrüßen wir, dass für den Mann ein der Pille entsprechendes Verhütungsmittel auf den Markt kommt.
Wissenschaftler sagen, es gebe dafür einfach keine Lobby.
Es gibt absolut keine Lobby. Letztendlich wollen Männer nicht die alleinige Verantwortung für Verhütung übernehmen oder zumindest nicht über komplizierte bzw. hormonelle Methoden nachdenken. Männer haben generell einen schwierigen Zugang zu Beratung. Das erleben wir hier im Zentrum tagtäglich, wenngleich sie heute häufiger als Begleitung bzw. Mitentscheider zur Beratung kommen.
War die Pille »ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation der Frauen«, wie es Alice Schwarzer formulierte?
Natürlich war die Pille ein Meilenstein. Die sexuelle Revolution der sechziger, siebziger Jahre war nur durch die selbstbestimmte Verhütung möglich, bei allen Widersprüchen, die ich eben erwähnt habe. Ebenso wichtig ist die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs seit den siebziger Jahren.
Manche halten die Pille trotzdem für überschätzt, weil die Entwicklungen dieser Zeit – vermehrte Erwerbstätigkeit von Frauen, sexuelle Befreiung, Emanzipation, geringere Geburtenrate – bereits in den Zwanzigern begonnen haben.
Die Pille war der Beginn der Befreiung für die Frauen in dem Sinne, dass sie selbstbestimmt über ihr Leben, ihre Berufstätigkeit, ihre Familienplanung und ihr gesellschaftliches Engagement entscheiden konnten. Vorher waren sie immer beeinträchtigt durch Fruchtbarkeit und Geburten. Aber die Emanzipation der Frau hatte natürlich auch mit den Kämpfen der Frauen für ihre Rechte zu tun, die parallel stattgefunden haben.
Wir propagieren, dass Frauen in aller Welt diese Möglichkeiten haben. Dazu müssen Verhütungsmittel bereitgestellt werden, und zwar kostenlos. Es müsste ein staatliches Anliegen sein, familienfreundliche Bedingungen zu schaffen, in denen Menschen selbstbestimmte Sexualität unabhängig von Einkommen, Herkunft, sexueller Orientierung leben können. Und die Finanzierung von Verhütungsmitteln könnte ein Beitrag sein, um Frauen nicht in prekäre gesundheitliche Situationen zu bringen.
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