Odyssee eines »Asylbetrügers«

Imam-Jonas Dögüs versucht seit elf Jahren vergeblich, in Deutschland als politischer Flüchtling anerkannt zu werden

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 6 Min.
Vor mehr als einem Jahrzehnt flüchtete Imam-Jonas Dögüs aus der Türkei, weil ihn ein Staatssicherheitsgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt hatte. Bis heute muss der ehemalige Gewerkschafter aber fürchten, dass ihn die deutschen Behörden eines Tages abschieben.
Imam-Jonas Dögüs wurde am 20. Januar 1965 als Kind alevitscher Kurden in der türkischen Provinz Elbistan geboren. Nach seiner Verurteilung durch ein türkisches Staatssicherheitsgericht musste der Linksaktivist das Land verlassen. Das Urteil gegen ihn hat nach wie vor Bestand, obwohl die umstrittenen Staatssicherheitsgerichte auf Druck der Europäischen Union im Jahre 2004 abgeschafft wurden.
Imam-Jonas Dögüs wurde am 20. Januar 1965 als Kind alevitscher Kurden in der türkischen Provinz Elbistan geboren. Nach seiner Verurteilung durch ein türkisches Staatssicherheitsgericht musste der Linksaktivist das Land verlassen. Das Urteil gegen ihn hat nach wie vor Bestand, obwohl die umstrittenen Staatssicherheitsgerichte auf Druck der Europäischen Union im Jahre 2004 abgeschafft wurden.

»Asylbetrüger« – so steht es in weißen Lettern auf dem schwarzen T-Shirt von Imam-Jonas Dögüs. Verschmitzt lächelt er, als mein Blick auf den Schriftzug fällt. »Am 23. August wird das Verwaltungsgericht Schwerin entscheiden, ob ich wirklich ein Betrüger bin«, erklärt Dögüs, während er sich eine Zigarette dreht. Die Schweriner Richter könnten aber auch dafür sorgen, dass der ehemalige Gewerkschafter endlich als politischer Flüchtling anerkannt wird. Und so ist der Gerichtstermin am kommenden Montag auch so etwas wie der Endpunkt seiner nunmehr 11 Jahre währenden Flucht.

»Eigentlich beginnt meine Geschichte bereits mit dem Putsch türkischer Generäle im September 1980«, sagt Imam-Jonas. Das Militär herrschte mit eiserner Hand: Rücksichtslos gingen die Soldaten gegen alles vor, was linker Umtriebe verdächtig schien. Hunderttausende wurden verhaftet, viele gefoltert und ermordet. »Ich wollte etwas gegen das Unrecht tun«, erinnert sich Dögüs. 1984 schloss er sich der marxistisch-leninistischen Gruppe Devrimci Sol an. »Wir wollten eine sozialistische Türkei«, betont er. Dögüs engagierte sich in der Gewerkschaftsarbeit. »Wenn ich heute Berichte über Streiks der Angestellten-Gewerkschaft sehe, dann freue ich mich. Denn ich habe damals mitgeholfen, ihre Gründung vorzubereiten«.

Doch dem Staat missfiel, was der junge Kurde und seine Mitstreiter taten. Die meist jungen Aktivisten wurden auf offener Straße verprügelt, verhaftet und in den Gefängnissen oft monatelang gefoltert. Wie oft er hinter Gittern saß, weiß Imam-Jonas nicht mehr genau. »Vielleicht 15 oder 16 mal.« Manchmal sei er direkt nach seiner Entlassung aus der 30-tägigen Untersuchungshaft vor dem Gerichtsgebäude verhaftet worden. Folter gehörte damals zum Alltag in türkischen Gefängnissen und Polizeistationen. »Viele Leute sind unter der Folter gestorben, und die Behörden ließen sie einfach verschwinden«, so Dögüs. Die ständigen Verhaftungen und Folterexzesse hinterließen ihre Spuren. Noch heute leidet er unter den Folgen der Misshandlungen.

Ständige Verhaftungen und Folter

Damals in der Türkei führte die staatliche Repression dazu, dass sich ein Teil der Devrimci Sol-Bewegung radikalisierte. Imam-Jonas ging auf Distanz. Anfang 1993 stieg er endgültig aus. Doch seine Vergangenheit sollte ihn zwei Jahre später einholen: Ein türkisches Staatssicherheitsgericht verurteilte ihn im Jahr 1995 wegen »Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation« zu 15 Jahren Haft. Imam-Jonas ging auf Tauchstation. »Vier Jahre hielt ich mich versteckt und hoffte auf eine Amnestie.« Aber die kam nicht. Immer häufiger verhaften Polizisten Familienmitglieder: Man verdächtigte Onkel und Vater, den Verurteilten zu verstecken. Irgendwann beschloss Dögüs, zu fliehen. »Ein kleines Boot brachte mich auf eine griechische Insel.« Was er damals noch nicht ahnen konnte: Seine eigentliche Odyssee sollte in Griechenland ihren Anfang nehmen.

Wir schreiben das Jahr 1999. Der türkische Staatsfeind Nummer eins, PKK-Chef Abdullah Öcalan, ist gerade verhaftet worden. Das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland ist auf dem Nullpunkt, als sich herausstellt, dass die Griechen dem Kurdenführer bei seiner Flucht geholfen hatten. »Ich stellte meinen Asylantrag in Griechenland. Doch offenbar wollten die Griechen mit einer Geste des guten Willens ihr Verhältnis zur Türkei verbessern.« Die Auslieferung türkischer Links-»Terroristen« schien da eine mögliche Option.

Auf jeden Fall wollten die Griechen aber den unliebsamen Gast aus der Türkei loswerden. Also machte sich Imam-Jonas auf den Weg nach Deutschland. Doch auch hier fand seine Odyssee kein Ende. »Als ich meinen Asylantrag in Köln stellte, wurde der erst gar nicht zugelassen«, erinnert sich Dögüs. »Ich fiel unter die Drittstaatenregelung.« Diese besagt, dass ein Flüchtling in jenem Staat seinen Asylantrag stellen muss, in dem er die EU-Außengrenze erstmals überschritten hat – also Griechenland. Aber dorthin konnte er nicht zurück. »Ich hatte Angst, dass man mich an die Türkei ausliefern würde.« Also taucht Imam-Jonas in Deutschland unter. Trotzdem findet er einen Rechtsanwalt, der sich seiner annimmt.

Doch die Situation ist vertrackt. Der Prozess um seine Anerkennung als Asylbewerber könne auch ohne ihn stattfinden, lässt ihm die Behörde mitteilen. Sollte er Recht bekommen, könne er ja aus Griechenland zurückkehren. Dögüs bleibt in der Illegalität. Schließlich verschlägt es ihn nach Rostock. »Ich habe die dortige Innenstadtgemeinde um Kirchenasyl gebeten und die haben mich aufgenommen.« Und so retten die Christen den überzeugten Marxisten.

Ursprünglich nur als kurzfristige Lösung gedacht, verbrachte Imam schließlich mehr als drei Jahre im Asyl der Rostocker Nikolaikirche. »Während dieser Zeit versuchte mein Anwalt, den Asylantrag durchzubringen.« Vergeblich.

Nach langem Hin und Her erhielt Dögüs im Jahre 2003 eine Duldung durch die Rostocker Ausländerbehörde: Jedoch nur aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit. Posttraumatische Belastungsstörung lautete die Diagnose. Folter und das Leben in der Illegalität hatten ihm zugesetzt. Imam-Jonas beginnt eine Therapie. »Insgesamt fünf Jahre war ich in Behandlung«, erzählt er.

Im Jahre 2005 dann fragten die deutschen Behörden noch einmal bei den Griechen nach, ob sie nun bereit seien, Dögüs aufzunehmen. »Doch die zeigten kein Interesse und plötzlich war Deutschland zuständig für mein Asylverfahren«, schmunzelt Dögüs und zündet sich eine weitere Selbstgedrehte an.

Zu diesem Zeitpunkt wähnte er sich am Ziel. Nun müsste Deutschland ihn endlich als politischen Flüchtling anerkennen, glaubte er damals. Doch weit gefehlt. Der behördliche Irrsinn ging weiter. Obwohl Imam-Jonas bereits mehrere Anhörungen zu seinem Asylverfahren hinter sich hatte, musste er sich im September 2005 in einer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erneut einer Befragung stellen. Eine Entscheidung lässt weiter auf sich warten. Im Januar 2006 erkundigt sich sein Anwalt beim Bundesamt in Nürnberg, wann denn mit einer Entscheidung gerechnet werden könne.

Bundesamt verschleppt Entscheidung

Im Juli desselben Jahres ließ man den Juristen wissen, dass im August über den Antrag entschieden werde. Der August verging, ohne dass etwas passierte. Im September dann eine erneute Nachfrage in Nürnberg. Die Beamten vertrösteten Anwalt und Klient auf Oktober. Schließlich verlängerte sich das Bundesamt die Bearbeitungsfrist großzügig bis Jahresende. Im Juni 2007 hatte Imam-Jonas die Nase voll. Er fuhr nach Nürnberg und trat vor dem Bundesamt in einen Hungerstreik. Plötzlich ging dann alles ganz schnell: Nur wenige Tage nach Beginn des Hungerstreiks erfolgte eine Entscheidung: Der Asylantrag wurde abgelehnt. Der Beschluss sei »nicht gerichtsfest und rechtlich nicht durchhaltbar«, kritisierte Dögüs' Anwalt Thomas Wanie und reichte umgehend Klage ein gegen den Bescheid.

Am kommenden Montag ist es nun endlich soweit. Das Verwaltungsgericht Schwerin wird die Klage verhandeln. Imam-Jonas hofft, dass man ihn endlich als politischen Flüchtling anerkennt. Sein derzeitiger Status als Asylbewerber sei unerträglich. Obwohl er jahrlang in der Flüchtlingspolitik aktiv war, als Dolmetscher arbeitete und sogar schon Bundespolizisten unterrichtete, darf Imam-Jonas ohne Erlaubnis nicht einmal das Stadtgebiet verlassen. Weil er nicht weiß, wie die Richter entscheiden werden, hat er Wohnung und Konto gekündigt. »Ich werde dann wohl im September ins Asylbewerberheim umziehen müssen«, seufzt Imam-Jonas. Zurück in die Türkei kann er nicht. Dort wartet nach wie vor eine 15-jährige Haftstrafe auf ihn.

Zum Schluss zeigt Imam-Jonas eine Urkunde, die ihm vom damaligen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff überreicht wurde. Das Land Mecklenburg-Vorpommern dankte ihm so für sein soziales Engagement. Imam zündet sich eine Zigarette an und resümiert: »Die Türken haben mich für eben diese Arbeit gefoltert, für die ich hier eine Urkunde kriege. Das ist doch verrückt.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.