Thierse gegen Maximal-Beton

Politiker sieht Fehler beim Kampf gegen Verdrängung, aber nicht bei der SPD

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Thierse beim Vor-Ort-Termin mit Anwohnern
Thierse beim Vor-Ort-Termin mit Anwohnern

Zu diesem Pressetermin konnte Wolfgang Thierse (SPD) zu Fuß gehen. Den hatte sich der Bundestags-Vizepräsident gestern praktisch vor seiner Haustür am Kollwitzplatz organisiert. Einmal, um den Schutz der Mieter vor Verdrängung einzuklagen, zum anderen, um dem Bezirksamt Pankow und speziell dessen Stadtrat für Stadtentwicklung Michail Nelken von der Linkspartei vorzuwerfen, dafür nicht genug zu tun.

Konkret gilt Thierses Sorge dem Karree zwischen Metzer, Belforter und Straßburger Straße, wo ein Investor die luftige 60er-Jahre-Bebaung durch »maximal Beton auf minimaler Fläche«, wie Thierse befand, verdichten möchte. Auf die Freifläche vor den drei Wohnblöcken will die Firma econcept einen siebengeschossigen Neubau setzen, auf die Altbauten zwei Geschosse draufsatteln und die Bäume in beiden Höfen abholzen und mit Tiefgaragen unterkellern. 20 der 110 vorhandenen Wohnungen müssten abgerissen werden (ND berichtete). Die Mieter wollen das verhindern, denn sollten die Pläne verwirklicht werden, könnten die letzten preiswerten Wohnungen am Kollwitzplatz verloren gehen. Thierse ist da ganz auf ihrer Seite, denn als Anwohner seit fast 40 Jahren wisse er, was nun normal zu sein scheint: »Eine unerhörte Verdichtung in einem Gebiet, wo ohnehin schon alles zugebaut ist.« Deshalb müsse das Bezirksamt seiner Verantwortung nachkommen.

Wie das gemeint ist, erklärten seine Begleiter von der Pankower SPD. Viel zu spät habe der Stadtrat für Stadtentwicklung den Entwurf für einen Bebauungsplan vorgelegt und der sehe nun auch noch einen neuen Baukörper vor, wie ihn der Investor haben wolle, so der Bezirksverordnete Roland Schröder. Das bedeute Abriss der zwei Aufgänge. »Ich kann nicht sehen, wie da die Interessen der Mieter gewahrt werden.« Die SPD sei nicht gegen die Aufstellung eines Bebauungsplanes, aber dann »mit so wenig Neubau wie möglich«. Außerdem plädiert sie für eine sogenannte Umstrukturierungssatzung plus Sozialplanverfahren, um die Bewohner vor Verdrängung und steigenden Mieten zu schützen.

Bei den Bewohnern stößt aber auch dieser »SPD-Schutzschirm« auf Misstrauen. »Ein Sozialplan würde ja bedeuten, dass gebaut wird. Genau das wollen wir aber nicht«, hält eine Frau dem Bundestags-Vize entgegen. Und überhaupt, die SPD habe doch im Senat erst die Voraussetzung für diese Misere geschaffen. »Was in Berlin möglich ist, muss im Bezirk ja nicht exekutiert werden«, verteidigt sich Thierse. Die Aufforderung aus der Menge, SPD und LINKE sollten sich zusammensetzen und einigen, blieb unbeachtet.

Bei der LINKEN wundert man sich jedenfalls über Thierses plötzliche Aktivität gegen Verdrängung in seinem Kiez. »Die hat er jahrelang als linke Propaganda abgetan«, so deren Stadtentwicklungsexperte Thomas Goetzke. Seine Sorge gelte wohl eher den Wahlchancen der SPD als den bedrängten Nachbarn. Auch der attackierte Stadtrat Nelken sieht die Entwicklung als Folge sozialdemokratischer Stadtentwicklungspolitik, die er mit einem Bebauungsplan nicht heilen könne. Kein Neubau und Erhalt der jetzigen Situation wäre auch für ihn die beste Lösung, aber dann könnte der Investor die Mieter sofort wegen mangelnder wirtschaftlicher Verwertung kündigen und die vorhandenen Gebäude abreißen. Nelken hofft, mit dem Bebauungsplan, der die Beteiligung der Bürger einschließt, das Schlimmste zu verhindern.

Dass ihm das gelingen könnte, fürchtet offenbar auch econcept-Chef Rainer Bahr, einst Gründungsmitglied der Grünen. Der Investor will das Verfahren, das ihn zumindest drei Jahre am Bauen hindern könnte, anfechten.

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