Kaminer kauft ein Stück Prärie
Autor wechselt von Schrebergarten in Berlin auf Grundstück in Brandenburg
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer hat seinen Schrebergarten in der Kolonie »Bornholm II« in Berlin-Prenzlauer Berg gekündigt. Stattdessen kauft er in Brandenburg ein Grundstück am Vielitzsee bei Neuruppin. Gestern wollte die Familie rausfahren und den Schlüssel übernehmen. Das Grundstück dort draußen – ein Stück »wilde deutsche Prärie« – könne seine Frau Olga so zum Blühen bringen, wie sie es wolle, erzählte Wladimir Kaminer.
Seine Erfahrungen in der Kolonie »Bornholm II«, wo er vor sechs Jahren die Parzelle 118 pachtete, verarbeitete der Schriftsteller in seinem Bestseller »Mein Leben im Schrebergarten«. Einige Gartenfreunde haben das Buch gelesen und sich wiedererkannt. Den meisten jedoch ist der Erfolgsautor bis heute kein Begriff.
Wer den urkomischen und zugleich bitterbösen Text liest, wundert sich, warum Kaminer es so lange aushielt. Er beschreibt, wie er innerhalb kürzester Zeit ungewollt gegen fast alle Bestimmungen verstößt und deswegen mit dem Gartenvorstand zusammenrasselt. »Wenn man in Deutschland Verantwortung für ein Stückchen Erde übernehmen will, dann muss man dies ohne Vorstand tun«, glaubt der Schriftsteller jetzt. Er habe gedacht, dass es mit dem Erscheinen des Buches besser werde, doch die Familie habe anschließend noch mehr Mahnungen und Belehrungen erhalten, welche Pflanzen wo hin dürfen. Olga habe die Anlage »sehr geliebt«, doch irgendwann sei Schluss.
Kaminer ließ sich zuletzt selten auf seiner Parzelle blicken. Er gehe nur dorthin, um Interviews zu geben, scherzte er. Einige Gartengeräte hat er mit mittelalterlichen Folterwerkzeugen verglichen, Hammer und Sichel als Relikte der sozialistischen Vergangenheit interpretiert, bis er bemerkte, wozu die Sichel notwendig sei – um sonntags die Wiese zu mähen, wenn die Benutzung des Rasenmähers strikt untersagt ist.
Das Namensschild ist schon vom Gartentor verschwunden. In der Parzelle und davor wuchern die Pflanzen unkontrolliert. Eine derartige Unordnung gilt als schlimme Missetat. Als »Todesstreifen« bezeichnete Kaminer deswegen die Zone am Zaun. Kaminer entdeckte in »Bornholm II« ein Deutschland, in dem statt des Grundgesetzes das Kleingartengesetz gilt und die Würde des Gärtners von der Größe seiner Früchte abhängt. In seinem Buch erlaubte er sich dichterische Freiheiten. Übertrieben hat er nicht. Die Wirklichkeit ist lächerlich genug.
Wladimir Kaminer: »Mein Leben im Schrebergarten«, Manhatten, 224 Seiten (brosch.), 7,95 Euro
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.