Im Herrschaftsbereich der »Zetas«
Das Beispiel des Kartells zeigt die Verstrickung mexikanischer Behörden in das Drogengeschäft
Im Nordosten Mexikos dauert die Gewalt an. Unbekannte erschossen am Sonntag den Bürgermeister der kleinen Stadt Hidalgo, Marco Antonio Leal Garcia. Ob es sich bei den Unbekannten um Killer des mächtigen Drogenkartells »Los Zetas« handelte, bleibt aufzuklären. Im Fall der 72 Migranten vor Wochenfrist ist die Täterschaft geklärt. Sie waren vom Drogenkartell »Los Zetas« entführt und ermordet worden. Einem Überlebenden des Massakers gelang es, schwer verletzt zu fliehen und die Behörden zu informieren.
»Das Massaker von Tamaulipas ist lediglich die Spitze des Eisbergs«, konstatiert Axel Garcia von der »Pastoralen Dimension Menschlicher Mobilität«. Die an die katholische Kirche angeschlossene Organisation koordiniert 52 Herbergen im Land, die so genannten »Casas de Migrante«, in denen Migranten auf ihrem Weg durch Mexiko Zuflucht finden. »Die Herbergen führen seit Jahren über die brutalen Übergriffe gegen Migranten Buch. Entführungen sind seit 2006 an der Tagesordnung und tragen sich vor allem dort zu, wo die ›Zetas‹ ihren Einflussbereich haben: in den Bundesstaaten Tamaulipas und Coahuila an der Nordgrenze, in Veracruz und Tabasco am Golf von Mexiko und in Chiapas und Oaxaca im Süden Mexikos«, erklärt Rechtsanwalt Garcia. »›Los Zetas‹ haben als aufstrebende Macht im Lande die traditionelle Arbeitsweise der alten Drogenkartelle durchbrochen und konnten sich erfolgreich ausbreiten, indem sie Drogenhandel mit Menschenhandel und Erpressung verbinden.« Axel Garcia verweist darauf, dass die Herbergen die Entführungen genau dokumentieren; manchmal von ihren Opfern sogar Namen und Aufenthaltsorte der Bandenangehörigen erfahren.
Doch laut Tageszeitung »La Jornada« fehlt der Regierung, abgesehen vom Handlungswillen, auch immer noch der Überblick über die Situation. So sprach ein neulich erschienener Regierungsbericht von 141 Entführungsfällen und 393 betroffenen Personen in den vergangenen zwei Jahren, während ein Bericht der Staatlichen Menschenrechtskommission (CNDH) allein zwischen Januar 2008 und Februar 2009 insgesamt 9758 Fälle auflistete. Dieser Report war von der mexikanischen Regierung angezweifelt worden; darin werde skandalisiert und nicht dokumentiert, hieß es.
Die Direktorin der mexikanischen Migrationspolizei (INM), Cecilia Romero, nahm den Vorfall zum Anlass, mehr Personal und Finanzmittel für ihre Institution zu verlangen. Gegenüber der Tageszeitung »Reforma« wies sie zynischerweise darauf hin, dass die ermordeten Migranten noch am Leben wären, wenn die Migrationspolizei sie beizeiten festgenommen und abgeschoben hätte.
Die Senatsabgeordneten der linksliberalen Partei der Revolutionären Demokratie (PRD) dagegen forderten eine radikale Umwandlung der INM und den Rücktritt ihrer Direktorin Romero. Sie sprachen von »offenen Verfolgungsjagden« auf Migranten, mit denen die Migrationspolizei ein »Klima der Fremdenfeindlichkeit« schaffe. Immer wieder geriet die Institution darüber hinaus in die Schlagzeilen, da Funktionäre in Menschenhandelsringe verstrickt sind und mit dem Drogenkartell »Los Zetas« zusammenarbeiten.
In den letzten Jahren sind im Süden Mexikos ganze Gruppen von Migranten aus den Einrichtungen oder Bussen der INM selbst durch die »Zetas« entführt worden. Ob dies tatsächlich durch militärische Überlegenheit und nicht gar im Einverständnis über einen geteilten Gewinn geschehen ist, blieb stets ungewiss. Die »Zetas« foltern ihre Opfer an geheimen Orten, bis die Betroffenen ihnen die Telefonnummern ihrer Verwandten in den USA herausgeben. Die werden dann um Lösegeld erpresst, das über Geldunternehmen wie Western Union nach Mexiko geschickt wird. Auch hier wäre eine polizeiliche Strafverfolgung leicht möglich; wenn sie denn angestrebt werden würde.
Paolo Martinez, Pressesprecher der mexikanischen Organisation »Sin Fronteras«, kritisiert vor allem die Ausrichtung der Migrationspolitik Mexikos auf ein reines Kontrollregime. »Menschenrechte von Migranten werden zwar gerne auf internationalen Konferenzen angesprochen; vor allem wenn es um die von mexikanischen Migranten in den USA geht. Aber innerhalb der eigenen Grenzen werden Migranten aus Zentralamerika zu einer leichten Beute der organisierten Kriminalität. Und hier zeigt sich der mexikanische Staat nicht willig, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorzugehen. Schon gar nicht, wenn es sich um Migranten handelt«, schließt Martínez bitter.
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