Keine Ramadan-Kontrolle in Damaskus
Im säkularen Syrien ist die Einhaltung des Fastengebots freiwillig, Verstöße sind nicht sanktioniert
Syrien ist ein säkularer Staat, dessen Bevölkerung sich, Statistiken zufolge, in etwa 85 Prozent Muslime und 10 Prozent Christen unterteilt. Rund fünf Prozent gehören anderen Glaubensgemeinschaften an wie Drusen und Jesiden. Christen kennen Zeiten des Fastens vor Weihnachten und Ostern, während des Ramadan ist das Fasten Sache der Muslime. Essen, Trinken und Rauchen sind von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang untersagt. Ausgenommen sind Kinder, Kranke, schwangere Frauen und alte Menschen. Gegessen und getrunken wird am Abend, nach dem Fastenbrechen »Iftar«, das in Damaskus neuerdings mit einem Kanonenschlag angekündigt wird. Die fastenfreie Nacht endet mit »Suhur«, dem Morgengebet vor Sonnenaufgang, vor dem die Gläubigen noch einmal ein leichtes Frühstück einnehmen dürfen.
Diese Regeln werden in den muslimischen Staaten unterschiedlich streng befolgt oder durchgesetzt. Anders als in den Golfstaaten, Jordanien oder Nordafrika, gibt es in Syrien keine Strafen, sollte jemand dennoch essen und trinken. Allerdings wird darum gebeten, dies nicht in der Öffentlichkeit zu tun. Viele Imbisslokale bleiben während des Ramadans ganz geschlossen. Andere machen tagsüber gute Geschäfte. Denn wer nicht fastet, nimmt sich das Essen mit ins Büro oder nach Hause.
In vielerlei Hinsicht könnte die Ramadanzeit mit der christlichen vorweihnachtlichen Adventszeit verglichen werden. Die Menschen sind aufgerufen zu spenden und Gutes zu tun, Armen und Kranken zur Seite zu stehen und sich dem Gebet und dem Nachdenken über Gott zu widmen. Familien und Freunde verbringen den Abend beim Fastenbrechen miteinander, die Mittellosen werden in Moscheen und öffentlichen Zelten mit Essenspenden Wohlhabender verköstigt.
Wie die christliche Adventszeit hat auch der Ramadan zwei Seiten. Neben der spirituellen Botschaft geht es um das Geschäft. Balkone und Fenster sind mit leuchtenden Monden und Sternen, Blumen und Lampiongirlanden geschmückt, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab. Immer häufiger überreicht man sich schon vor dem Eidfest kleine Geschenke, sofern man es sich leisten kann. Zum Fastenbrechen bieten viele Restaurants in und um Damaskus besondere kulturelle und kulinarische Leckerbissen an. Mit großem Buffet, Live-Musik, Kartenspielen und Wasserpfeiferauchen bis zum Frühgebet »Suhur« wirbt ein Lokal in der Altstadt, mit Unterhaltung auf überdimensionalen Bildschirmen und Wettbewerben lockt ein anderes Restaurant. Und überall flimmern auf den Bildschirmen die Ramadanserien von Herz und Schmerz, die nicht nur in Syrien, sondern in allen arabischen Staaten mit Hingabe verfolgt werden.
Abu Ahmed dient das Fasten der moralischen und religiösen Selbstreflexion, und so kommt vor der morgendlichen Lektüre von Börsennachrichten in seinem Internetcafé das Studium des Korans. Anders als sonst gibt es zur Begrüßung weder Tee noch Kaffee. Kurz vor dem »Iftar« gegen 19.20 Uhr schließt Abu Ahmed sein Internetcafé für zwei Stunden, um bepackt mit Süßigkeiten und Obst nach Hause zur Familie zu eilen.
Mohammed aus Aleppo, der den kargen Lebensunterhalt für sich und seine Familie als Reinigungskraft in einem Damaszener Hotel verdient, radelt durch die spätnachmittägliche Hitze mit dem Fahrrad den Damaszener Hausberg Qasioun hinauf, wo er später auf die Minute genau zum »Iftar« süße Getränke an Frau, Kinder und Verwandte austeilt. Für eine Stunde bleiben dann Straßen und Plätze der syrischen Millionenmetropole wie leergefegt.
Die heiße Sommerzeit setzt den Fastenden in der arabischen Welt zu. Bei Temperaturen bis zu 50 Grad brauchen die Menschen Strom und Wasser, beides ist knapp in der Region. In Irak, Libanon und Ägypten kam es wegen langer Stromausfälle zu heftigen Protesten, denen Politiker nicht mehr als das Versprechen entgegenzusetzen hatten, man werde alles tun, um die Engpässe zu beheben. »Straßenblockaden und brennende Reifen« seien nicht nützlich, hieß es zum Beispiel in Libanon. In Jordanien müssen wegen akuter Wassernot des öffentlichen Verteilers die Menschen das kostbare Nass teuer von privaten Anbietern kaufen.
Die israelischen Behörden hielten derweil für die Palästinenser ein besonderes Geschenk zu Ramadan bereit, wie Jeff Halper vom Internationalen Komitee gegen Hauszerstörungen sarkastisch anmerkte. In der Nacht vor Beginn des Fastenmonats machten sich Arbeiter unter dem Schutz von Polizisten auf dem historischen muslimischen Mamilla-Friedhof in Jerusalem zu schaffen und zerstörten Grabsteine. Die ältesten Gräber des Friedhofs stammen aus dem 7. Jahrhundert, als die ersten Muslime in die Region kamen. Auch Zehntausende Kämpfer der Armee Salah ad-Dins sollen dort begraben sein, die 1187 geholfen hatten, Jerusalem von den Kreuzrittern zu befreien.
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