Die letzten Cineasten

Das Kino »Toni« feiert 90. Jubiläum

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Das »Toni« habe ich lange nicht gemocht, denn die Filme mit unseren Lieblingen Terence Hill, Bud Spencer oder Robert Redford waren hier einst für Schüler unerreichbar. Im Gegensatz zu den anderen Weißenseer Kinos wurde an der Kasse streng kontrolliert, ob wir im Besitz eines eigenen Personalausweises waren. Sonst waren die Filme ab 14 tabu. Den Grund für die rigorosen Kontrollen raunten uns die Eltern zu: Das »Toni« war bis weit in die 70er Jahre das einzige Ostberliner Kino, das noch in privater Hand war. Heute ist es das einzige der fünf Kinos aus dem alten Weißensee, das die Wirren der Wende überlebt hat – Dank des Engagements von Senta Berger und Michael Verhoeven, die das Haus 1992 kauften. Der Regisseur eröffnet heute das Programm, mit dem das Haus am Antonplatz seinen 90. Geburtstag feiert.

Am 4. September 1920 fiel der erste Vorhang in dem Neubau, in dem erst wenige Monate zuvor eingemeindeten Stadtteil. 700 Besucher fanden in den »Decla-Lichtspielen« Entspannung und Unterhaltung. 1921 wurde die Ufa Eigentümer des Hauses. Nach deren Enteignung ging das Haus in sowjetischen Besitz. Der wenige Wochen nach der Befreiung wieder aufgenommene Spielbetrieb musste jedoch im Winter 1946 eingestellt werden, da Technik und Bestuhlung gestohlen worden waren.

Zu Weihnachten 1948 konnte Privatinvestor Herbert Bendel das Haus unter dem Namen »Toni« wieder eröffnen. Es gehörte fortan zu den schönsten der Hauptstadt, verlor aber 1956 seinen Status als Premierenkino. Die Weißenseer mussten fortan auf die neuen Filme warten. Diese Benachteiligung gegenüber der staatlichen Konkurrenz war nur eine von vielen, mit denen Bendel zum Aufgeben gezwungen werden sollte. Zum Verhängnis wurde ihm aber erst, dass er mit dem kargen Gewinn nicht in die Bausubstanz investieren konnte. Nachdem die Staatliche Bauaufsicht das Haus 1979 dicht machte, übergab er das Haus an die Bezirksfilmdirektion Berlin.

Viele Weißenseer fürchteten, dass das »Toni« für immer seine Türen schließen würde. Doch drei Jahre später wurde die Wiedereröffnung gefeiert. Nach der Wende suchte die Berliner Treuhand einen privaten Investor. Den Zuschlag erhielten Senta Berger und Michael Verhoeven. »Ich habe das ›Toni‹ erworben, weil ich wollte, dass es zumindestens ein Kino gibt, das auf europäische Filme spezialisiert ist«, begründet der Filmemacher, warum er sich mit seiner Frau den alten Traum vom eigenen Lichtspielhaus erfüllte. Den Ausschlag für das »Toni« gab dessen große Geschichte in dem filmgeschichtsträchtigen Stadtteil Berlins, in dem Erich Pommer zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein heute fast vergessenes Filmproduktionszentrum aufgebaut hatte.

Für die Mitarbeiter des »Toni« war die Privatisierung eine Zeit der Ungewissheit. Der Kinobesuch war nach 1989 dramatisch eingebrochen – die ollen Kamellen des staatlichen Verleihs konnten keinen hinter dem Ofen vorlocken. Außerdem wollten die Zuschauer die Welt mit eigenen Augen sehen. Als die Bezirksfilmdirektion im Sommer 1990 aufgelöst wurde, fielen die staatlichen Zuschüsse weg.

Die Kinos schrieben tiefrote Zahlen und galten fortan in den Bezirken als leidige Kostgänger. Daher war die Administration froh, dass sich die Treuhand des Schicksals der Häuser annahm. Bei ihren Entscheidungen schaute sie jedoch meist nicht auf künstlerische Visionen, sondern alleine auf wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit.

Mit seinem ausgewogenen Konzept bekam Verhoeven den Zuschlag. »Damals war die versierte Manuela Miethe bereits vier Jahre Theaterleiterin. Sie befürchtete, dass ich alle Mitarbeiter rausschmeißen würde. Was ich natürlich tunlichst vermieden habe. Heute ist das Kino so stark, weil Manuela Miethe eine so starke Persönlichkeit ist«, betont Verhoeven.

Manuela Miethe ist das Herz des Hauses. Sie legt selbst die Filme ein, sie leitete die Geschicke durch den Umbau zu einem 2-Saal-Kino 1996/1997 und nach dem Brand im kleinen Kino »Tonino« 2007. Längst ist das »Toni« auch wieder Premierentheater.

Jetzt steht die Digitalisierung an. »Ohne digitale Vorführung kann künftig ein Kino nicht überleben«, so Verhoeven, dem – wie vielen Berliner Kinobetreibern – die Kosten für Einbau und Umrüstung Sorgenfalten bereiten . »Wenn sich der Bezirk auf die große Tradition  des Kinos ›Toni‹ und die Filmstadt Weißensee besinnen würde, hätte das Haus sogar eine Zukunft,« appelliert Michael Verhoeven. Er möchte den Weißenseern ihr Kiez-Kino erhalten und mit ihnen auf das 100. Wiegenfest des Traditionshauses anstoßen.

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