Bedrohte Vielfalt präsentiert sich

Musikmesse, Konzert-Festivals, Theoriedebatten: Am Montag beginnt die Berlin Music Week

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die weite Leere der Tempelhof-Hallen wird einer hektischen Betriebsamkeit in Sachen Popmusik weichen, Berlin zum Zentrum des Genres werden. Foto: Promo
Die weite Leere der Tempelhof-Hallen wird einer hektischen Betriebsamkeit in Sachen Popmusik weichen, Berlin zum Zentrum des Genres werden. Foto: Promo

Ganz oder gar nicht – das dachten sich wohl die sehr unterschiedlichen Organisatoren der vom 6. bis 12. September die hauptstädtische Unterhaltungskultur dominierenden Berlin Music Week. Fiel im letzten Jahr die Musikmesse Popkomm wegen mangelnder Nachfrage ganz aus, wird nun in eine Woche und den zentralen Austragungsort Flughafen Tempelhof alles gepackt, was Popmusik hergibt.

So findet die Popkomm nicht nur wieder statt und ist – verkleinert zwar – bereits ausgebucht, sondern veranstaltet auch ein eigenes »Showcase Festival« mit über 60 Bands. Flankiert wird der Geschäftsaustausch von zwei weiteren Großveranstaltungen. Das Berlin Festival vereinigt auf seinen diversen Bühnen mehr als 70 Bands zwischen Elektro und Indirock. Dazu liefert das Diskussionsforum All2gethernow die Plattform für alles Theoretische rund um Beats, Downloads, Selbstausbeutung und Zukunftsvision einer durchgeschüttelten Branche (siehe Randspalte).

Dabei hat Olaf Kretschmar von der Berlin Music Commission, einer Vertretung mittelständischer Musikunternehmen der Hauptstadt, natürlich recht, wenn er sagt, »in Berlin ist doch ständig Music Week«. Keine europäische Stadt bietet permanent Tag und Nacht eine solche Bandbreite an Mainstream- und Underground-Konzerten oder weltberühmten, auch die ausgefallensten Präferenzen bedienenden Cluberlebnissen. Mit etwa 250 Musiklabels vom Weltkonzern bis zur Garagenklitsche und insgesamt fast 2000 Unternehmen, die sich im weiteren Sinne mit Musik beschäftigen, liegt Berlin auch im Internationalen Vergleich weit vorne. »Dennoch ist es wichtig, den Facettenreichtum Berlins auf diesem Gebiet zu bündeln und vorzustellen«, so Kretschmar weiter, der auch dem Organisationskomitee der Music Week vorstand.

Der Berliner Senat habe sich gefragt, »sollen wir eher die Vielfalt und Einzelvorhaben fördern, oder ein international ausstrahlendes Einzelevent«, erklärt Ingrid Walther von der Wirtschaftsverwaltung. »Wir sagen: sowohl als auch. Wir brauchen die kleinen Clubs, Labels und Netzwerke ebenso, wie eine Veranstaltung, die Berlins Status als wichtigster europäischer Musikstandort deutlich macht«, betont Walther. Nicht verstummen wollen allerdings Mahner der Club- und Musikszene, die dem Senat vorhalten, mit besagter Vielfalt einerseits zu werben und Investoren an Land zu ziehen, andererseits den Investoren die Verdrängung eben dieser Vielfalt zu gestatten.

Der durch die Not des Branchenniedergangs an einen Tisch gezwungenen Organisatorenrunde aus Managern, Musikern und Ehrenamtlern kann man nicht vorwerfen, dass die Music Week jenen Berliner Facettenreichtum nicht wenigstens versucht widerzuspiegeln. Denn neben den bereits erwähnten Hauptattraktionen gibt es am 11. September die laut Veranstaltern mit 45 beteiligten Locations größte Clubnacht der Welt. Zudem haben sich die Spree-Anrainer zu ClubSpreeBerlin zusammengeschlossen und schippern die Gäste mit Booten zu Nachwuchskonzerten in ihren Läden. Gleichzeitig stellte die Kulturbrauerei einen weiteren Konzertreigen von Weltmusik bis Jazz auf die Beine, werden sich Labels im U-Bahnhof Platz der Luftbrücke präsentieren und wird die Nischenmesse Jazzkomm ausgerichtet.

Endgültig verlieren kann sich der Musikfreund im sogenannten Soundscape. Hier stellen sich die laut Organisatoren »musikalischen Spielwiesen und experimentellen Laboratorien« der Berliner Musik- und Nachtleben-Szene vor und laden ein, die gebetsmühlenartigen Preisungen der Szene einem Praxistest zu unterziehen.

Positiv ist jetzt schon zu vermerken, dass die meisten Veranstaltungen für jedermann und nicht wie einst bei der Popkomm nur einem exklusivem Kreis zugänglich sind. Die Musikwirtschaft, gezwungenermaßen längst vom hohen Ross herunter, wendet sich wieder dem Fan zu.

Alle Programme, Orte und sonstige Infos: www.berlin-music-week.de

Tickets

Berlin Festival

Tagesticket 10. Sept. 39 € zzgl. Gebühren / Tagesticket 11.9. 39 € zzgl. Gebühren / 2-Tages-Ticket 10. + 11. Sept. 59 € zzgl. Gebühren oder Berlin Festival über 4-Tage-Kombiticket der Berlin-Music-Week

Popkomm

Einzelticket Popkomm Public Day 10. Sept. (inkl. Jazzkomm, all2gethernow und Berlin Festival am 10.9. sowie Popkomm-Showcase-Festival am 8. + 9.9.) 39 € zzgl. Gebühren / Popkomm-Showcase-Festival 8. + 9. Sept. 10 €

All2gethernow

Tagesticket 6. oder 7. Sept. je 20 € / 2-Tages-Ticket 6.+7. Sept 30 €

Berliner Musikwirtschaft

Umsätze

Das Umsatzvolumen der Berliner Musikwirtschaft lag 2008 bei 946,5 Millionen Euro (+6,3% zum Vorjahr) und ist seit 2000 um 4,8% gesunken.

Beschäftigung

Im Musiksektor waren 2008 rund 13 800 Erwerbstätige – darunter sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte, Freiberufler und Selbstständige – beschäftigt. Rückgang gegenüber dem Vorjahr um rund 2,5%, seit 2000 Anstieg um rund 5,8% .

Anzahl der Unternehmen

1820 Musik-Unternehmen hatten 2008 Sitz in Berlin. Seit 2000 Anstieg um 48%. Quelle: Senat

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!