Ein Marathon
Dokumentarfilm »Das Beethoven-Projekt«
W as für ein Kraftakt, sämtliche Beethoven-Sinfonien in nur vier Tagen aufzuführen! Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und ihr Chefdirigent Paavo Järvi haben sich diesem Marathon vor einem Jahr beim Beethoven-Fest Bonn unterzogen. Damit sich die Anstrengung auch lohnt, muss sie multimedial ausgebeutet werden. DW-TV, das Auslandsfernsehen der Deutschen Welle, hat die Konzerte mitgeschnitten und auf DVD veröffentlicht. Parallel dazu erscheint der Dokumentarfilm »Das Beethoven-Projekt«, der die Musiker bei ihrer Vorbereitung auf den Konzertmarathon begleitet. Dessen Europa-Premiere fand jetzt im Berliner Kino International statt.
Regisseur Christian Berger und sein Team haben das Orchester drei Monate lang nicht aus dem Augen gelassen. Im Mittelpunkt steht der estnisch-amerikanische Dirigent Paavo Järvi, der die Sinfonien kurz und knackig charakterisiert. Die Vierte nennt er ein »Sorbet«, das den Geschmack zwischen Eroica und Fünfter neutralisiere, das Finale der Siebten einen »Galopp zur Hölle«. Zugleich lernt der Zuschauer einen Dirigier-Star kennen, der zwischen Hotels, Flughäfen und Konzertsälen pendelt und sein Familienleben auf die elektronische Kommunikation beschränkt.
Neben Järvi kommen fünf Musiker zu Wort, die ihre jeweiligen Paradetakte in den Sinfonien vorstellen. Am besten kommt im Kinosaal der Schlagzeuger Stefan Rapp an, der ein schmales Schnurrbärtchen und gern eine verspiegelte Sonnenbrille trägt und in einem heckenüberwucherten besetzen Haus lebt.
Auf kurzweilige Weise zeigt der Film, wie ein Orchester funktioniert, der Alltag der Instrumentalisten aussieht und vor allem, welch langwierige Detailarbeit erforderlich ist, um einen mühelos anmutenden Ensembleklang zu kreieren. Etliche Szenen haben mit dem Thema wenig zu tun: die ausgedehnten Luftaufnahmen von Bremen und Bonn etwa, oder eine Fahrt im ICE. Der Regisseur begleitet Järvi gar zum Sängerfest in seine Heimatstadt Tallin, wo sich 30 000 Menschen in einem Stadion zum Mega-Chor vereinen.
Solche Abschweifungen hängen damit zusammen, dass sich »Das Beethoven-Projekt« auch an Klassik-Abstinenzler und Menschen aus anderen Kulturkreisen wendet. DW-TV will die Dokumentation im Oktober weltweit in vier Sprachen senden. Dennoch: Dass der Regisseur zuweilen in eine Videoclip-Ästhetik mit ihren technischen Mätzchen verfällt – Bilder der Musiker scheinen durch Hauswände; der Konzertsaal bevölkert sich im Zeitraffer – erscheint als überflüssige Anbiederung an die MTV-Generation.
In ihrer Pressemitteilung schreibt die Deutsche Welle, hier würde »die Botschaft von Beethovens Musik im 21. Jahrhundert« verkündet. Als wäre Järvi der Erste, der den Staub der Aufführungskonventionen aus alten Partituren pustet. Aber wann wurde Beethovens Botschaft jemals so schnell unter die Leute gebracht? Neun Sinfonien in vier Tagen, die über elektronische Kanäle ohne Zeitverlust ein Millionenpublikum erreichen! Überdies geht Järvi die Stücke außergewöhnlich schnell an. Das klingt zupackend und energisch, über weite Strecken tänzerisch. Auch kommen die Momente, in denen Beethoven seinen skurrilen Humor auslebt, schön zur Geltung. Andererseits fallen manche Nuancen und Details unter den Teppich.
Offen bleibt, welchen Sinn es überhaupt hat, die Sinfonien so dicht hintereinander aufzuführen. Hat das eher marketingtechnische als künstlerische Gründe? Für die Musiker jedenfalls bedeuten sowohl der Aufführungsmarathon als auch der Druck, live für ein riesiges internationales Bildschirm-Publikum zu spielen, großen Stress. Wenigstens kommen zwischen den Konzerten die Masseure.
Das Beethoven-Projekt. Eine Musikdokumentation mit Paavo Järvi und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (DVD, Sony Music). www.dw-world.de
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