Euphorie klingt anders
Die erste Berlin Music Week vereinte Musikmesse, Konzerte und Theoretisches
Von Franz X. A. Zipperer
Die Musikmesse Popkomm ist wieder da. Am vergangenen Freitag ging sie im neuen Berliner Alleskönner, dem ehemaligen Flughafen Tempelhof, zu Ende. Doch so ganz allein scheint die wiedergekehrte Messe noch nicht gehfähig zu sein. Deshalb gab es viele Weggefährten. Sie hießen Jazzkomm, All2gethernow, Berlin Festival, Berlin Clubnacht, U-Ton, Summerize-Festival oder ClubSpreeBerlin. Alle fanden sie unter der neu geschaffenen Dachmarke Berlin Music Week zusammen.
Nachdem 2009 das »Requiem« für die Popkomm auf dem Notenzettel stand und die Veranstaltung vom Markt verschwand, musste 2010 der Neustart her. Da es Berlin nicht unter Superlativen tut, hatte eine einfache, recycelte Musikmesse mit neuer Ausrichtung keine Chance. Der große Wurf als Berlin Music Week sollte her. Und in der Summe aller Veranstaltungen war nun alles größer, vielfältiger, ausdifferenzierter und dauerte natürlich viel länger. Eine ganze Woche war vollgestopft mit Kongressen, Workshops, Festivals und dem längsten Straßenkonzert. Letzteres muss selbstverständlich in das Guiness Buch der Rekorde.
Dass Pop als Medium der Euphorie aber eigentlich der Kreativität verpflichtet ist und nicht der bürokratischen Verwaltung von Noten, reflektierten die vielfältigen Diskussionen der Theorieplattform All2gethernow sehr ambitioniert. Hier wurde unter anderem eine so verrückte Begegnung möglich, wie die zwischen Dieter Gorny, dem Vorstand des Bundesverbandes der Musikindustrie und dem – noch nicht rechtskräftig – zu einem Jahr Haft und 2,7 Millionen Euro Schadensersatz verurteilten »Pirate Bay«-Gründer Peter Sunde.
Dennoch ließ die Nachfrage teils zu wünschen übrig. Manche Veranstaltungen fanden vor fünf Leuten statt, so etwa »Namaste Berlin! India comes to Popkomm« oder die der Green Music Initiative, die die Frage stellte: »Wie Grün kann die Musik werden? Perspektiven einer klimaverträglichen Musik- und Entertainmentbranche«.
Die Standgestaltung und das Drumherum der arg verkleinerten Popkomm selbst waren lieblos und uninspiriert. Der frühere Stolz der Messe, die überaus große Beteiligung der internationalen Musikexportbüros, war nur noch rudimentär vorhanden. Hinzu kam, dass eine ehemalige Abflughalle akustisch nicht wirklich für Konzerte ausgelegt ist.
In einer abschließenden Pressekonferenz betonten dennoch alle Beteiligten den Erfolg. Angefangen vom Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (LINKE) über K7-Labelmacher und Co-Präsident der internationalen Vereinigung der unabhängigen Musikfirmen IMPALA, Horst Weidenmüller, bis hin zu Moritz van Dülmen, dem Geschäftsführer der Kulturprojekte Berlin GmbH. Doch Euphorie klingt anders. Und die statistischen Zahlen von 7500 Business-Gästen und 470 Standanmeldungen widersprechen den gefühlten Popkomm-Zahlen eklatant. Einzig das Berlin Festival und die Berlin Clubnacht dürfen mit ihren allein fast 40 000 Besuchern als Ausnahme gelten. Ein Fakt, der den überall auszumachenden Trend bestätigt, dass im Konzertbereich der finanzielle Schlüssel zur Zukunft des Musikgeschäftes liegen könnte.
Das von Melt!-Booker Stefan Lehmkuhl kuratierte Berlin-Festival konnte die bereits im Vorfeld durch angekündigte Künstler wie Gang Of Four, Edwyn Collins, Chilly Gonzales, Fat Boy Slim oder Caribou aufgekommene Spannung eindeutig halten. Leider konnte der – auch nach dem Ende der Konzerte auf der Hauptbühne anhaltende – Besucherstrom in Richtung der beiden Hangars nicht vernünftig kanalisiert werden. Zu groß war die verbliebene Menge der Gäste. Da es an den Schleusen zu gefährlichen Staus kam und die Vorkommnisse in Duisburg sofort alle Alarmglocken schrillen ließen, wurde das Festival in der Nacht auf Samstag unterbrochen. Eine absolut richtige Entscheidung, aus der für zukünftige Tempelhof-Veranstaltungen entscheidende Lehren zu ziehen sein werden. Das hatte allerdings auch viele enttäuschte Ohren zur Folge, da Fat Boy Slim, eines der Festivalhighlights, nicht mehr auftreten konnte.
»Berlin ist wieder auf der Landkarte der internationalen Musikveranstaltungen zurück«, betonte Senator Wolf. Als Aktivität in Sachen musikalisches Stadtmarketing ist die einwöchige Veranstaltung einerseits sicherlich ein Erfolg. Andererseits aber weiß auch 2010 keiner, wie es wirklich weitergeht im Musikgeschäft. Auch deshalb besann sich das Konglomerat Berlin Music Week wohl auf die eher altmodische Hymnenweisheit: »The Beat Goes On«. Denn an solchem Fan-Enthusiasmus ändern sinkende Plattenverkäufe und auch sonstige Krisen des Musikgeschäftes nichts. Ob es für diese Feststellung einer Popkomm und ihrer Peripherieprojekte bedurfte, sei dahingestellt.
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