Alternativer Brüter auf den Minden-Höhen
In Malaysia hat der »akademische Arm« des Right Livelihood Award seine Heimstatt
Von Michael Lenz, George Town
Die Universiti Sains Malaysia (USM) in George Town auf der Insel Penang (auch Pulau Pinang – Betelnuss-Insel) ist schön gelegen. Von den Gebäuden der Universität, ehemaligen Kasernen der britischen Kolonialtruppen, auf einem mit tropischen Bäumen und Pflanzen bewachsenen Hügel reicht der Blick hinüber auf das Festland, die malaiische Halbinsel. Auf der kurvenreichen Fahrt über den Campus hinauf zum »Right Livelihood College« erzählt Anwar Fazal schmunzelnd, dass die Briten den Hügel nach einer deutschen Stadt benannt haben: Minden.
Anwar weiß allerdings nicht, wie es zu dem Namen Minden Heights kam. Ein Blick ins elektronische Lexikon löst das Rätsel: Im Siebenjährigen Krieg hatten die preußisch-britischen Truppen in Minden einen wichtigen Sieg gegen die Franzosen errungen. Es ist erstaunlich und beruhigend zugleich, dass Anwar Fazal etwas nicht weiß, ist 69-jährige Malaysier doch sonst ein Quell des Wissens.
Den »Alternativen Nobelpreis«, der in dieser Woche in Bonn seinen 30. Geburtstag feiert, hat der indischstämmige Malaysier bereits 1982 (im gleichen Jahr wie die Grüne Petra Kelly) für sein Engagement für Verbraucherrechte erhalten. »Ich habe Verbraucher nicht nur als Kunden auf einem Markt gesehen, sondern als Teil einer Kultur und der Umwelt. Deshalb war ich immer eng mit Bewegungen verbunden, die sich der Umwelt, der Wirtschaft, der Kultur und dem Dialog mit Religionen verschrieben hatten«, sagt Anwar.
Als 2009 die Gründung eines Kollegs erörtert wurde, das zum akademischen Arm des »Right Livelihood Award« werden sollte, rief Anwar schnell »Hier!« So sehr er ein Mann des Wortes ist, kann er auch als Mann der Tat gelten. Anwar überzeugte die Universität in George Town davon, dass es ihr zur Ehre gereicht, dem Kolleg eine Heimat zu bieten. Der Zeitpunkt sei ideal gewesen, findet er. Die Zivilgesellschaft in Malaysia werde immer stärker und auch die Universitäten des multireligiösen und multiethnischen Landes öffneten sich langsam gesellschaftlichen Fragen und würden kritischer.
Der Aufbau und die Förderung der Zivilgesellschaft war zeitlebens das große Anliegen Anwars. In seiner Heimat sehen manche den unermüdlichen Aktivisten gar als den Vater der malaysischen Zivilgesellschaft. Die umfasst all jene Blogger, Macher unabhängiger Internetzeitungen, liberale islamische Vordenker und Streiter für ein gerechteres Malaysia, die der Regierungskoalition Barisan Nasional (BN), zusammengesetzt aus ethnischen Parteien und dominiert von der nationalistisch-malaiischen UMNO, die alleinige Deutungshoheit über Zustand und Zukunft des Landes streitig machen. Wer das Monopol der Herrschenden bestreitet, für Pressefreiheit und gegen Korruption kämpft, läuft allerdings Gefahr, nach dem Gesetz über die innere Sicherheit verhaftet zu werden.
Auch für die Entwicklung der globalen Demokratie ist eine größere Rolle der Zivilgesellschaft unerlässlich. Den »politischen und wirtschaftlichen Teil« der Vereinten Nationen – das Generalsekretariat, den Sicherheitsrat oder auch die Welthandelsorganisation – hält der gläubige Muslim Anwar Fazal für ein »Spiegelbild einer wirklich schlechten globalen Politik und Wirtschaft«. Keiner der in der UNO dominierenden Staaten habe ein Interesse an einer »wirklichen Demokratisierung« dieser Institutionen. »Also müssen wir damit beginnen, globale Strukturen der Zivilgesellschaft aufzubauen.«
Dazu soll das Kolleg auf den Minden-Höhen seinen Beitrag leisten. Einen »Inkubator« nennt Anwar Fazal das Kolleg, einen Brüter für akademische Aktivisten, in dem die 137 bisherigen Träger des Alternativen Nobelpreises automatisch »Fellows« sind und ihr Wissen und ihr Können einer neuen Generation mittels moderner Kommunikationstechnologien zur Verfügung stellen.
So ist der »alternative Brüter« in George Town einerseits ein virtuelles Kolleg, andererseits aber auch ein reales, mit Workshops und Seminaren für asiatische Studenten, mit »Brüterfilialen« an den Universitäten im schwedischen Lund und im äthiopischen Addis Abeba. Brutstätten für Ideen und Aktionen auf anderen Kontinenten sollen folgen. Dass in dem Inkubator auf den Minden Heights, wie in der Idee des »Alternativen Nobelpreises«, auch ein Stück Anarchie steckt, freut Anwar, der über das Wort »Ruhestand« sagt: »Das ist nicht in meinem Vokabular.«
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