Legal, egal legal – Adolphe Légalité

Vor 80 Jahren: Der »Ulmer Reichswehrprozess«, Scheringers Wende und Hitlers Eid

  • Kurt Finker
  • Lesedauer: 4 Min.
Richard Scheringer vor dem Reichsgericht bei seinem zweiten, im April 1932 begonnenen Prozess
Richard Scheringer vor dem Reichsgericht bei seinem zweiten, im April 1932 begonnenen Prozess

Vom 23. September bis zum 1. Oktober 1930 fand vor dem Reichsgericht in Leipzig ein Prozess gegen die Offiziere des Ulmer Artillerieregiments 5 Leutnant Richard Scheringer, Leutnant Hanns Ludin und Oberleutnant a. D. Hans Friedrich Wendt statt, den man auch als »Ulmer Reichswehrprozess« bezeichnete. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, sich aktiv für die NSDAP betätigt und versucht zu haben, nazistische Gruppen in der Reichswehr zu bilden. In der offiziell »unpolitisch« deklarierten Reichswehr der Weimarer Republik galten parteipolitische Aktivitäten als Hoch- und Landesverrat. Fürsprache erhielten die Beschuldigten von ihrem Regimentskommandeur Oberst Ludwig Beck (dem späteren Generalstabschef, Generaloberst und Hitlergegner, der am 20. Juli 1944 erschossen wurde). Das Urteil lautete auf je eineinhalb Jahre Festungshaft und zudem für Scheringer und Ludin Ausstoßung aus der Reichswehr.

Der seit 1927 für die Nazibewegung tätige Rechtsanwalt Dr. Hans Frank erreichte als Verteidiger der Angeklagten, dass Hitler vor Gericht als Entlastungszeuge vernommen wurde. Hitler erhielt – wie beabsichtigt – so die Gelegenheit, das »nationale« Programm der NSDAP vorzutragen, ihre Verbundenheit mit der Reichswehr zu bekräftigen und unter Eid zu bekunden, dass er nur »legal« an die Macht kommen wolle: »Der Begriff ›Nationale Revolution‹ wird immer als ein rein innenpolitischer aufgefasst. Für die Nationalsozialisten ist das aber lediglich eine Erhebung des geknechteten Deutschtums. Deutschland ist durch die Friedensverträge geknebelt ... Die Nationalsozialisten sehen diese Verträge nicht als Gesetz an, sondern als etwas Aufgezwungenes. Wir erkennen unsere Schuld am Krieg nicht an ... Wir werden gegen diese Verträge vorgehen, sowohl auf diplomatischen Wege wie durch ihre restlose Umgehung ... Ich stehe hier unter dem Eid vor Gott dem Allmächtigen. Ich sage Ihnen, dass, wenn ich legal zur Macht gekommen sein werde, dann will ich in legaler Regierung Staatsgerichte einsetzen, die die Verantwortlichen an dem Unglück unseres Volkes gesetzmäßig aburteilen sollen. Dann werden möglicherweise legal einige Köpfe rollen.« Von der Zuschauergalerie ertönte Beifall. »Adolphe Légalité«, wie hingegen die aufmerksame demokratische Öffentlichkeit spöttelte, hatte noch vorhandene Zweifel bei der Reichswehrführung, in Regierungskreisen und in Teilen des herrschenden Großkapitals gegen die Nazibewegung beseitigen wollen.

Nazijurist Frank erhielt dafür später seine Belohnung: Er wurde u. a. Präsident der Akademie für Deutsches Recht und Reichsführer des NS-Juristenbundes. Von 1939 bis Anfang 1945 feierte er seine Orgien auf dem Krakauer Wawel als Generalgouverneur, während gleichzeitig seine Schergen Hunderttausende von Juden und Polen ermordeten. Er wurde im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet – nachdem er noch zuvor eine Reueerklärung und seine Konversion zum Katholizismus verkünden konnte.

Während Ludin zum SA-Führer und 1939 zum Nazibotschafter in der Slowakei avancierte und wegen seiner Mitwirkung bei der Ermordung von Slowaken, Tschechen und Juden 1946 ebenfalls hingerichtet wurde, ging Scheringer den entgegengesetzten Weg. Auf der Festung Gollnow führte er Gespräche mit kommunistischen Mithäftlingen. Er machte es sich nicht leicht, nutzte sogar Hafturlaub für Begegnungen mit Hitler und Goebbels, um seine Fragen und Bedenken vorzutragen. Darauf reagierte Goebbels jedoch nur belustigt: »Ich halte diesen Eid für einen genialen Schachzug. Was wollen die Brüder jetzt noch gegen uns machen? Sie haben doch nur darauf gewartet, zupacken zu können. Nun sind wir streng legal, egal legal.«

Nach einer Aussprache mit dem kommunistischen Reichstagsabgeordneten und Militärpolitiker Hans Kippenberger erklärte Scheringer im März 1931 seinen Eintritt in die KPD. Kippenberger verlas die Erklärung am 19. März 1931 im Reichstag, was nicht nur Aufsehen erregte, sondern auch einen zweiten Prozess gegen Scheringer mit Verurteilung zur Folge hatte; erst im September 1933 kam er frei.

Der Übertritt Scheringers und weiterer Offiziere spielte besonders in der politischen Aufklärungsarbeit der antimilitaristischen Wehrorganisation »Roter Frontkämpferbund« eine große Rolle. Die Erklärung Scheringers wurde als Flugblatt verbreitet, in einer Rededisposition der Bundesführung für die politische Schulungsarbeit hieß es: »Der Fall Scheringer und der Übertritt von 13 Offizieren aus der weißen Front in die rote Front beweist, dass nicht nur die proletarischen Soldaten des Feindes zu uns kommen, sondern dass auch ehrliche, denkende, vom Kapital nicht gekaufte und nicht käufliche Offiziere, die sich zur Erkenntnis durchgerungen haben, dass die Voraussetzung zur nationalen Befreiung die soziale Befreiung ist, sich eingliedern in die rote Front.«

Scheringer stand in der Nazi-Zeit in Bayern unter Polizeiaufsicht, unterstützte aber dennoch verfolgte Antifaschisten. Während des Krieges wurde er als Artillerieoffizier zur Wehrmacht eingezogen. An den Vorbereitungen für den Umsturzversuch 1944 war er nicht beteiligt. In seinen Erinnerungen vermerkte er, dass die Nachricht von diesem für ihn zwar nicht ganz unerwartet kam, da »wir ja immer auf eine Aktion aus der Armee gehofft hatten. Aber warum wussten wir nichts davon? Warum hatte unser alter Regimentskommandeur Beck uns nicht informiert? Warum hatten sie sich auf eine Generalsverschwörung beschränkt?«

Nach der Befreiung vom Faschismus war Scheringer in Bayern für die KPD tätig und mehrfach Repressalien der Behörden ausgesetzt. Er starb 1986 in Kösching (bei Ingolstadt). Johann, einer seiner Söhne, widmete sich der Landwirtschaft und übersiedelte 1961 in die DDR, wo er LPG-Vorsitzender war; nach der deutschen Vereinigung saß er über zehn Jahre für die PDS im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.

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