Jedes Kind ist begabt

Leistungsklassen sollen nicht abgeschafft, aber auch nicht mehr ausgeweitet werden

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Die gesonderte Förderung einer Elite ist eine bildungspolitische Idee, die in konservativen Kreisen Anklang findet. Als sie noch Regierungspartei war, machte die brandenburgische CDU Druck für die Einführung von Leistungs- und Begabungsklassen. Jetzt in der Opposition lässt sie nicht nach.

Der Landtagsabgeordnete Gordon Hoffmann (CDU) spricht von einem »Erfolgsmodell«, das beibehalten und sogar ausgebaut werden müsse. Wenn es doppelt so viele geeignete Bewerber wie Plätze in den Spezialklassen gebe, dann könne die Konsequenz doch nicht die Begrenzung oder Abschaffung sein, sagte er. Alle Erfahrungen mit den Leistungs- und Begabungsklassen seien durchweg positiv gewesen.

Dagegen meint die Abgeordnete Marie Luise von Halem (Grüne), die Förderung individueller Begabungen solle in den normalen Klassen stattfinden. »Die speziellen Leistungs- und Begabungsklassen zementieren die ungleichen Bildungschancen im Land. Sie gehören abgeschafft.« Es lasse sich auch gar nicht nachweisen, dass die Schüler in den Spezialklassen tatsächlich hochbegabt sind, findet die Abgeordnete. Denn gerade in der Phase der Grundschule sei oftmals nicht die vermeintliche besondere Begabung von Kindern der Grund für überdurchschnittliche Leistungen, sondern dafür seien engagierte Eltern verantwortlich, die ihre Kinder gezielt fördern.

Seit dem Schuljahr 2007/2008 können einige gute Schüler bereits nach vier Jahren Grundschule an ausgewählte weiterführende Schulen wechseln und dort eine Leistungsklasse besuchen. Normalerweise dauert die Grundschule in Brandenburg sechs Jahre. Voraussetzung für die Aufnahme in eine Spezialklasse sind die Empfehlung der Grundschule, ein gutes Halbjahreszeugnis in der vierten Klasse, ein Test und ein Eignungsgespräch.

Die Leistungs- und Begabungsklassen sind auf 35 Schulen beschränkt. Derzeit gibt es diese Spezialklassen an 30 Gymnasien und einer Gesamtschule. Nur die Landkreise Oberhavel, Prignitz und Uckermark sind dabei weiße Flecken. Ein hochbegabtes Kind könne natürlich auch in einer normalen Klasse durch guten Unterricht individuell gefördert werden, weiß Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD).

In der Wissenschaft herrscht die Meinung vor, dass ein möglichst langes gemeinsames Lernen aller Kinder sinnvoll ist. Da sind Spezialklassen kontraproduktiv. Trotzdem sollen die Leistungs- und Begabungsklassen in Brandenburg zunächst beibehalten werden. Darauf hatten sich SPD und LINKE in den Koalitionsgesprächen verständigt. Nicht abschaffen, aber auch nicht aufstocken, lautete die Formel, die allerdings keinen Eingang in den Koalitionsvertrag fand.

»Das verbietet uns nicht, darüber nachzudenken«, kommentiert die Abgeordnete Gerrit Große (LINKE). Sie bestätigt, dass ihre Fraktion eigentlich gegen die Leistungs- und Begabungsklassen ist. »Wir waren immer dagegen.« Ein Argument: Die zurückbleibenden Kinder werden noch mehr benachteiligt. Im vergangenen Schuljahr sind in 26 Fällen Klassen zusammengelegt worden, weil sie durch den Weggang der leistungsstarken Schüler zu klein geworden sind. Das Ergebnis der Zusammenlegung waren dann größere Klassen und somit schlechtere Bedingungen. Ganz davon abgesehen, dass das Niveau durch den Abzug der guten Schüler ohnehin schon sinkt. Die Abgeordnete erklärt, jedes Kind sei auf seine Weise begabt und müsse individuell gefördert werden.

Gleichwohl möchte Gerrit Große die Leistungs- und Begabungsklassen nicht »Knall auf Fall« abschaffen, sondern sie wünscht sich eine sanfte Änderung. »Niemandem soll etwas weggenommen werden«, betont sie. Wer schon in einer Spezialklasse sei, soll auch da bleiben dürfen. Begabte Schüler sollen auf jeden Fall gefördert werden, verspricht die Bildungsexpertin – aber künftig besser nicht durch die Absonderung in Spezialklassen, sondern durch zusätzliche Förderstunden.

  • Im Schuljahr 2009/2010 absolvierten 1494 geeignete Schüler erfolgreich das Aufnahmeverfahren, 894 wurden in eine der Spezialklassen aufgenommen.
  • In den Leistungs- und Begabungsklassen sind insgesamt 99 Lehrkräfte eingesetzt.
  • Den mit 10,2 Prozent höchsten Wert erreichte die Landeshauptstadt Potsdam. Am Stichtag 21. September 2009 lernten dort 269 von insgesamt 2637 Fünft- und Sechstklässlern in Leistungs- und Begabungsklassen.
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