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Heiterer Abschied von Hartz IV
Ursula von der Leyen hat die Nase voll von Hartz IV. Das heißt, die Sache selbst sagt ihr, im Gegensatz zu den Betroffenen, durchaus zu, aber dieser Name, also wissense, nee! Nicht mal eins ihrer Reitpferde würde sie Hartz IV nennen. Sie möchte den Igitt-Ausdruck lieber heute als morgen aus der Welt schaffen. Darum sagte sie der »Welt«, es sei »absolut wünschenswert, dass Hartz IV verschwindet«, dieses Wort sei so »negativ besetzt, dass es eine differenzierte Debatte über Langzeitarbeitslosigkeit« behindere.
Damit reiht sie sich ein in ganze Heerscharen von Bedenkenträgern. »Der Begriff ist diskriminierend«, mahnte Christian Wulff bereits, als er noch gar nicht ahnte, dass er eines Tages mit klingendem Spiel ins Schloss Bellevue einrücken würde. Die Grünenpartei unisono: »Bei dem Namen denkt man doch nur noch an Rotlicht und Bestechung.« Peter Struck von der SPD verteidigte Deutschland gar am Hindukusch gegen die schlimme Vokabel: »Wir sollten die Reform nach einem Unschuldigen benennen.« Brillante Idee! Aber waren Unschuldige an der Reform denn überhaupt beteiligt?
Und was sagt eigentlich Peter Hartz selbst dazu, der vorbestrafte Vordenker? Leider bin ich nicht tapfer genug, ihn danach zu fragen. Er hatte so sehr gehofft, seinen Namen für alle Zeit ins Goldene Buch der guten Taten eintragen zu dürfen. Schon 2004 erlebte er einen beispiellosen Triumph: Hartz IV wurde Wort des Jahres! Es hätte 2005 sogar Unwort des Jahres werden können, wäre es nicht 2004 schon Wort des Jahres gewesen. Sagt, was ihr wollt, der Name Peter Hartz war ein Glücksfall fürs deutsche Volk. Was, wenn Gazprom-Kanzler Schröder seinerzeit einen gewissen Peter Kokoschinski beauftragt hätte, fleißige Menschen zugunsten »der Wirtschaft« zu enteignen und zu entmündigen? Dann hätten wir heute Kokoschinski I bis IV.
Wie Diesel mit seinem gleichnamigen Motor, Duden mit seinem Duden, Bismarck mit seinem Hering und der lustvoll gauckende Gauck mit seinem Gauck-Gesinnungs-TÜV bereichert auch Peter Hartz den Wortschatz unserer Muttersprache. Andererseits hat bürgernahes Umbenennen die Erwerbslosenzahlen schon öfter radikal senken können. Unvergessen die Namensänderung von Bundesanstalt in Bundesagentur für Arbeit. Das gute, alte Arbeitsamt wurde vor Jahren zum Jobcenter, wo sie dir die Arbeitsstellen nur so nachschmeißen und wo Fallmanager die Arbeitslosen nicht mehr Arbeitslose nennen, sondern Kunden, Ratsuchende oder brachliegendes Humankapital.
Schmeicheleinheiten wie diese machen die Unterschicht häppi – so wie die Dicken froh sind, wenn die Schlanken sie nicht dick, sondern vollschlank nennen. Und es ist auch kein Zufall, dass der pfiffige Blumenbinder sich zum Floristen und der Modezahnarzt sich zum Oraldesigner aufhübscht.
Umbenennen kann man alles und jedes, wenn nur der gute Wille da ist, Begriffe wie Dr. Westerwelle oder Ronald Pofalla etwa, sogar das Unwort Afghanistan. Hartz IV in von der Leyen IV umzudefinieren, empfiehlt sich allerdings weniger, weil die Vokabel von der Leyen gleichfalls so »negativ besetzt« ist, dass sie »eine differenzierte Debatte über Langzeitarbeitslose« behindert.
Neulich noch wollte die Arbeitsministerin Hartz IV gegen die Bezeichnung Basisgeld, kurz: Basi, auswechseln. Mit diesem Wunsch biss sie auf Granit bei ihrer sprachsensiblen Kanzlerin, die bekanntlich die Sprache der neuen Ehrlichkeit spricht. Auch gut, wenn nicht Basi, dann aber vielleicht Grusi (Grundsicherung), Zusi (Zukunftssicherung), McHartz, Hartz V, Knartz VI oder Murks VII. Das eine politische Lager steuert Bezeichnungen bei wie zum Beispiel Hartzinfarkt, Dumpinglohnaufstockung und Volksverarschungshilfe, das andere Langschläferentgelt, Hängemattenprämie oder Schmarotzersoli.
Allein die Schokoriegel-Freunde bleiben gelassen. Früher kauften sie Raider, das inzwischen Twix heißt. Expertenkommentar: Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.
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