Kinder im Schießsimulator
Eltern, Politiker und »Terre des hommes« kritisieren Werbeaktionen der Bundeswehr
Bereits im Juli hatte die Bundeswehr 15 Schüler zu einem Marinecamp nach Kiel eingeladen. Dort erlebten die zwischen 16 und 19 Jahre alten Jugendlichen, wie man Checkpoints errichtet und mögliche Kampfmittel wie Sprengfallen erkennt. Die jungen Leute durften dabei auch in den Schießsimulator: »Es ist schon ein mulmiges Gefühl«, sagte eine Schülerin der FAZ, nachdem sie fünfmal nacheinander auf den menschlichen Umriss auf einer Zielscheibe feuerte. Uniformierte Soldaten erklärten den Jugendlichen, von denen zehn noch nicht volljährig waren, wie man die Waffe lädt und entsichert. »Das war Marine zum Anfassen, jeder Tag war ein Highlight«, wird eine 17-Jährige aus Thüringen nach dem Schießen auf einer Bundeswehr-Website zitiert.
Bereits am 8. März hatte die Armee im Rahmen eines Schulausflugs 50 schleswig-holsteinische Schüler auf ein Militärgelände nahe Kiel eingeladen und den Schießsimulator angepriesen: »Das ist ja noch viel toller als jedes Ballerspiel am PC«, wurde damals ein junger Teilnehmer in einer Lokalzeitung zitiert. Die Bundeswehr zeigte sich nach dem Schülerbesuch zufrieden. Man habe den jungen Leuten die Soldatenlaufbahn als Alternative zu zivilen Berufen darstellen können. Oberstabsfeldwebel Bernd Goldbach kündigte an, solche Besuchertage für Schüler von nun an einmal im Quartal organisieren zu wollen. Daraus wurde aber nichts; der Vorfall hatte zahlreiche Unmutsbekundungen und Kritik von Eltern und Politikern zur Folge. Der Schulleiter des Berufsbildungszentrums Plön, aus dem die Schüler kamen, erklärte die weitere Zusammenarbeit mit der Armee für beendet.
Im Oktober 2009 besuchten 18 Schüler der achten Klasse der Grund- und Hauptschule Süsel in der Nähe von Lübeck die Eutiner Rettberg-Kaserne. Für einen handfesten Skandal sorgte bei dem Klassenausflug die Vorführung eines 370 000 Euro teuren Schießsimulators und eine Äußerung des leitenden Soldaten: »Habt ihr eine Playstation [Videospielkonsole] zu Hause? Das macht bestimmt Spaß, oder? Das hier ist aber 1000 Mal besser!« Nach der Schießübung durften die 13- bis 15-Jährigen noch Spähpanzer vom Typ »Fennek« begutachten und auch selbst in das Panzerfahrzeug einsteigen. Einige Tage nach dem Klassenausflug zum Militär hagelte es Kritik. Viele kritische Leserbriefe gingen bei der Lokalzeitung ein. »Wir versuchen unsere Kinder von Ballerspielen fernzuhalten – und dann passiert in der Kaserne so was!«, empörte sich die Mutter eines der Schulkinder. Ekkehard Klug von der FDP-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein kritisierte das Militär ebenfalls: »Ich halte es für pädagogisch nicht vertretbar, wenn Heranwachsenden ein solcher Schießsimulator vorgeführt wird. Für die Zukunft sollten solche Vorführungen für Minderjährige unterbleiben.« Auch Grüne und LINKE bezogen Stellung gegen die Veranstaltung. Die Armee bedauerte den Vorfall, doch Lehren zog sie daraus wohl keine.
Die Teilnehmer des Marinecamps im Juli waren Gewinner eines jährlichen Preisausschreibens mit dem die Bundeswehr versucht, an die Adressen potenzieller Rekruten zu gelangen. Protest kommt unter anderem vom Kinderhilfswerk »Terre des hommes« aus Osnabrück. Die internationale Kinderrechtsorganisation kritisiert, dass die Bundeswehr immer systematischer und offensiver um Kinder und Jugendliche wirbt. Die Armee wolle so Nachwuchs gewinnen und ihr angekratztes Image verbessern. Dabei nutze die Bundeswehr mit Vorführungen im Schießsimulator oder auf Jugendsportfesten bewusst die Technik- und Sportbegeisterung junger Leute aus. »Das ist nicht nur moralisch fragwürdig, es ist auch ein Verstoß gegen die Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, die Deutschland unterschrieben hat«, so Ralf Willinger, Experte für Kindersoldaten bei Terre des hommes. Die darin verbrieften Kinderrechte gelten für alle Unter-18-Jährigen, darunter das Recht auf freie Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 6), auf körperliche Unversehrtheit und Schutz vor Gewalt (Art. 19) und auf eine Erziehung im Geiste von Frieden und Verständigung zwischen den Völkern (Art. 29). »Lebensgefährliche militärische Einsätze und die Werbung dafür sind mit diesen Rechten nicht vereinbar«, so Willinger.
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