Mobilisieren, appellieren, protestieren

Online-Kampagnen von unten: Das Beispiel Campact

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 5 Min.
Längst nutzen soziale Bewegungen das Internet für ihre Kampagnen. Mitunter sind sie dabei erfolgreich. Doch oft tauchen bei den neuen Protestformen altbekannte Probleme auf – zum Beispiel die Zersplitterung der Initiativen und eine ungleiche Verteilung der Machtressourcen.
Auf der Webseite von Campact haben die Bürger die Möglichkeit, Appelle online zu unterzeichnen.
Auf der Webseite von Campact haben die Bürger die Möglichkeit, Appelle online zu unterzeichnen.

Der Wahlkampf um die US-Präsidentschaft vor zwei Jahren verhalf dem Internet als Wahlkampfmaschine zum Durchbruch. Barack Obama gewann die Wahl auch deshalb, weil er über Webseiten, soziale Netzwerke und E-Mail-Kampagnen Wähler mobilisierte, die wiederum andere potenzielle Wähler ansprachen. Spenden wurden online eingeworben, Treffen von Obama-Anhängern organisiert, Videos kursierten. Die Internet-Kampagne galt als vorbildlich – und rief manchen Nachahmer auf den Plan.

Selbst die Handwerkskammer Trier ließ sich nach eigener Aussage inspirieren »von der politischen Beteiligungskultur des US-amerikanischen Präsidenten«. »Wenn wir wieder stärker nach außen auftreten wollen, müssen wir neue Formen der Kommunikationskultur pflegen«, fasste der HwK-Bevollmächtigte, Dr. h. c. mult. Karl-Jürgen Wilbert das Erlernte zusammen. Denn: »Wer begeistert ist, reißt andere mit«.

Will meinen: In jedem von uns steckt ein kleiner Obama. Den Rest erledigt – irgendwie! – das Internet. Wie in Washington und New York City, so in Trier und Umland. Die konkreten Ideen der von Obama begeisterten Handwerker waren dann aber doch eher hausbacken: E-Mails sollten künftig binnen 24 Stunden beantwortet werden. Eine Zukunftswerkstatt sei geplant (das Konzept geht nicht auf Obama zurück, sondern auf Robert Jungk – und stammt aus den frühen 1980er-Jahren). Eingerichtet werden sollte außerdem eine Tag und Nacht erreichbare Handwerker-Hotline. Handwerksmeister schlafen nicht, bevorzugen aber traditionelle Kommunikationsformen.

Manch einer ist da schon ein Stück weiter als die Kleinbürger-Lobbyisten aus dem Westen von Rheinland-Pfalz. Zum Beispiel der Verein Campact e.V. mit Sitz in Verden an der Aller, der sich 2004 gründete und seitdem politische Aktionen über das Internet organisiert. Das Ziel ist »im Internet ein Netzwerk von Menschen« herzustellen, »die sich einmischen, wenn politische Entscheidungen auf der Kippe stehen.« Die Campact-Themen sind aktuell, die Stoßrichtung stets fortschrittlich. Aktuell geht‘s gegen das »Milliardengrab« namens Stuttgart 21, das Sparpaket der Bundesregierung (Alternative: »Reich besteuern«) und gegen »Merkels Atompläne«.

»Bei Campact mitzumachen ist einfach, dazu sind nur wenige Mausklicks nötig«, sagt Pressesprecher Yves Venedey. »Wir ermöglichen es auch Menschen, die nur wenig Zeit haben, sich politisch einzumischen.« Mittlerweile vernetze Campact in Deutschland knapp 300.000 Menschen, binnen eines Jahres habe sich ihre Zahl verdreifacht. Was können die Campactionisten tun? Sie verschicken massenhaft E-Mails und Faxe an Politiker. Oder rufen Volksvertreter an, Telefondemo heißt das Konzept. Doch, so räumt Pressesprecher Venedey ein: »Reine Online-Aktionen verpuffen schnell im virtuellen Raum.« Also setze man auch auf die Medien. Die jedoch brauchen Bilder. Entsprechend ist Campact auch offline aktiv, um »Öffentlichkeit herzustellen und Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben«.

Flashmobs (also spontan über neue Kommunikationswege anberaumte fantasievolle Demonstrationen) werden organisiert, Campact mobilisiert aber auch zu Großdemonstrationen wie jener gegen Atomkraft, die am vergangenen Wochenende in Berlin stattfand. Die Organisation arbeitet durchaus professionell: Newsletter weisen auf Aktionen hin, Campact-Mitstreiter werben über soziale Netzwerke weitere Mitdemonstranten an. Ein potenzielles Kampagnenthema wird vorher bei zufällig ausgewählten Newsletter-Abonnenten auf Tauglichkeit getestet. Manchmal beauftrage man sogar Meinungsforschungsinstitute, bevor man eine neue Kampagne starte, berichtet Yves Venedey. Denn ein Campact-Thema sollte fünf Kriterien erfüllen: Es müsse anschlussfähig sein, es müsse eine Entscheidung dazu anstehen, das Thema dürfe nicht zu komplex und müsse skandalisier- und gewinnbar sein.
Als größten Erfolg seines Netzwerkes sieht Venedey das Verbot des Gen-Mais M810. »Wir hatten über 50.000 Unterschriften gesammelt und Landwirtschaftsministerin Aigner vor der Maisausaat 2009 mit einer Cowntdown-Uhr bei öffentlichen Auftritten in Bayern verfolgt.« Aigner habe schließlich dem öffentlichen Druck nachgegeben und den Gen-Mais verboten, so Venedey.

Aktuell beteiligen sich rund 130.000 Bürger an der Campact-Unterschriften-Aktion »Merkels Atompläne stoppen«. Das hört sich gut an. Doch das Beispiel Atomkraft zeigt: Auch bei neuen Aktionsformen spiegeln sich die alten Probleme sozialer Bewegungen wider. Zum Beispiel die Zersplitterung, das Nebeneinander, das einem Gegeneinander gleich kommt. Auch das rot-grün-rote Crossover-Projekt »Institut Soziale Moderne« sammelt derzeit Unterschriften gegen den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Gleiches gilt für die von zwei Privatleuten organisierte Aktion »Atomkraft ist Energie ohne Zukunft«, die bisher über 23.000 Unterstützer fand.

»Erneuerbare Energien brauchen keine Brücken«, sagt derweil zum selben Thema EUROSOLAR, die Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien. Sie sammelt Unterschriften für eine Anzeigenkampagne in klassischen Zeitungen, nutzt dabei aber natürlich auch das Internet.
Mindestens vier Unterschriftenkampagnen gegen Merkels energiepolitische »Revolution«? Das Kapital ist besser, jedenfalls straffer organisiert. Die Online-Kampagne »Mut und Realismus für Deutschlands Energiezukunft« (oder in Kurzform: »weiter Kernenergie und Kohle«) muss erstens keine Konkurrenz befürchten. Sie hat zweitens eine klare Zielgruppe: Die meisten Unterschreibenden sind Mitarbeiter von Kohle- und Atomkraftwerken. Und die Kampagne hat, drittens, noch einen weiteren Vorteil: Den Aufruf unterschrieben auch die Spitzen der vier großen Energiekonzerne. Des BDI. Und der Deutschen Bank.

Eine klare Ansage! Sie blieb nicht ohne Folgen.

Mehr Informationen:

Campact e.V.
Institut Solidarische Moderne (ISM)
»Atomkraft ist Energie ohne Zukunft«
EUROSOLAR - Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien
»Mut und Realismus für Deutschlands Energiezukunft«

Übersicht über laufende Kampagnen auf der Campact-Webseite www.campact.de.
Übersicht über laufende Kampagnen auf der Campact-Webseite www.campact.de.
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