Ein Garten für den Naumburger Meister
Dresdner Landschaftsarchitektinnen verbinden in der sachsen-anhaltischen Stadt Pflanzenkunst mit historischer Architektur
Nächstes Jahr erfährt ein großer Unbekannter eine überfällige Würdigung. Seinen Namen kennt man bis heute nicht, so heißt er nur der Naumburger Meister. Er stand an der Spitze eines Werktrupps von Bildhauern und Steinmetzen, der durch Frankreich und Deutschland zog. Ausgebildet vermutlich in Nordfrankreich zur Zeit der Hochgotik, profilierte er sich zu einem der Hauptmeister dieser Epoche. Obwohl er in den Quellen nicht nachweisbar ist, wies ihm die Forschung wegen seines charakteristischen Stiles Bildwerke in mehreren bedeutenden Kirchen zu.
So wirkte er Mitte des 13. Jahrhunderts u.a. in Amiens, Reims, Metz, Mainz, Merseburg Meißen – und in Naumburg. Als sein Hauptwerk gilt hier der Westchor des Doms St. Peter und Paul mit dem Westlettner und den zwölf Stifterfiguren. Diese Skulpturen, darunter das Markgrafenpaar Uta und Ekkehard, zählen zu den Höhepunkten der figürlichen Plastik im Mittelalter. So steht der Naumburger Meister vom 29. Juni bis 2. November 2011 im Mittelpunkt der nächsten sachsen-anhaltischen Landesausstellung, die eben hier in der Saalestadt stattfindet. »Dank der engen Kooperation mit Institutionen und Wissenschaftlern im In- und Ausland erhalten die Besucher erstmals einen Überblick über die bildhauerischen und architektonischen Werke, die mit ihm in Verbindung gebracht werden«, verspricht Sina Bockwoldt von den Vereinigten Domstiftern zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz.
In Naumburg erhielt sich wie sonst kaum auf so engem Raum ein Gesamtensemble aus mittelalterlichen Festungsanlagen, Profan- und Sakralbauten. Herausragend wären allein die kunstvollen Kapitelle, Zierfriese und Schlusssteine, in denen der Naumburger Meister »in unvergleichlich naturgetreuer Weise verschiedene Pflanzen darstellte. Sie sind so authentisch herausgearbeitet, dass sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit botanisch bestimmen lassen«, erklärt Heidrun Richter. Es seien indes keine Pflanzen aus dem Mittelmeerraum, wie sie die Bibel nennt, sondern Gewächse aus dem unmittelbaren Umland – etwa Buschwindröschen, Hahnenfuß, Haselnuss, Zaunrübe und Distel.
Heidrun Richter ist Landschaftsarchitektin und der Naumburger Domgarten derzeit eines der wichtigsten Projekte der Dresdnerin. Mit ihrer Kollegin Birgit Pätzig entwickelte sie ein Leitbild für die Neugestaltung des in den letzten Jahrzehnten weitgehend unzugänglichen Domgartens. Für dessen Revitalisierung schufen sie eine Struktur, die das terrassenförmige Flächendenkmal in drei Bereiche unterteilt. Während die beiden unteren Ebenen durch Reste von Immunitätsmauern und Bastionen früherer Domherrenkurien dominiert werden bzw. als parkartige Teichlandschaft erhalten blieben, sei der obere Bereich praktisch funktionsentleert, so Heidrun Richter. Bis Ende des 19. Jahrhunderts habe sich hier noch eines der Kuriengebäude befunden, nach 1900 ein Schulsportplatz.
Auf der Suche nach einer angemessenen Nachnutzung entstand so eine originelle Idee: Künftig präsentiert sich hier ein »Garten des Naumburger Meisters«. In ihm gedeihen dann einige jener Pflanzen, die sich auf den Kapitellen und Friesen im Dominneren finden – als lebende Vorbilder für den floralen Bildhauerschmuck. Die Architektinnen wagen dabei einen Brückenschlag vom Mittelalter in die Moderne. So soll der Bereich wie ein historischer Steinmetzarbeitsplatz wirken. Geplant sind grober Steinsplitt und Steinplatten sowie bruchraue Blöcke aus den verschiedenen Materialien, die in den Wirkungsstätten des Naumburger Meisters Verwendung fanden.
»Diese Blöcke werden indes ausgehöhlt und dienen so zugleich als Behälter für die Pflanzen«, so die Dresdnerin. Abhängig von Größe und Wuchsform der verschiedenen Pflanzen sollen sie unterschiedlich hoch werden. Daneben sind in einem bestimmten Raster acht Stelen geplant – jede 2,20 Meter hoch. Sie enthalten eine maßstäblich vergrößerte Kopie des jeweiligen Kapitells, Informationen zur entsprechenden Pflanze sowie zu deren apotropäischen Wirkungen. Darunter verstehe man, wie sie erläutert, gewisse magische Eigenschaften, die einst die Volksmedizin diesen Pflanzen zur Abwehr von Krankheiten und Dämonen beimaß. Denn vermutlich auch deshalb hätte der anonyme Meister gerade jene Pflanzen in Stein geschlagen: Beifuß half etwa gegen Fieber und sperrte böse Geister aus, die Zaunrübe wappnete gegen Blitzschlag.
Zu sehen sind im Garten des Meisters aber auch Arbeiten, die in einer neuen Kinder-Dombauhütte gefertigt werden. Diese entsteht in dem an den Domgarten grenzenden Seitenflügel der ehemaligen Domherrenkurie Levini. Zur Landesausstellung wird sie eröffnet. »Schulklassen können hier dann in die Rolle mittelalterlicher Baumeister und Handwerker schlüpfen und sich an originalgetreuem Werkzeug versuchen«, so Sina Bockwoldt. Gehen alle Pläne auf, so verrät sie, werde man außerdem zur Landesausstellung unmittelbar neben dem Garten des Meisters eine mobile Schau-Bauhütte einrichten. Hier demonstrierten dann Steinmetze die Herstellung einer Stifterfigur aus Naturstein.
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