Glückliche Labormäuse?

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Vignette: Chow Ming
Vignette: Chow Ming

Glückliche Mäuse bekämpfen Krankheiten besser! Das ist die provokative Aussage einer unlängst in der renommierten Zeitschrift »Cell« (Zelle) erschienenen Studie. Dies könnte auch Auswirkungen auf die Wissenschaft insgesamt, insbesondere aber auf die Krebsforschung haben. Und auf die Labortier-Haltung. Zwar gibt es für Tierexperimente neue Richtlinien aus Brüssel, aber die Tierschützer sind damit noch nicht zufrieden.

Eine »Verschönerung« oder Bereicherung (engl.: enrichment) der Umgebung der Labortiere kann also bedeuten, dass die Wirkung von Arzneimitteln anders ausfällt als in eher kargem Ambiente. Neurologische Veränderungen waren bei Nagern schon früher nachgewiesen worden, aber die Auswirkungen z. B. auf eine Krebsbehandlung wurden noch nicht erforscht.

Matthew During von der Ohio State University ging der Frage experimentell nach. Den Versuchsmäusen wurden Melanomzellen injiziert, um die Tumorentstehung zu untersuchen. Dann wurden die Probanden geteilt: Die einen wohnten in Standardkäfigen mit nur vier Kameraden, die anderen deutlich besser auf einer 40 Mal größeren Fläche mit 15 bis 20 Kameraden, mehr Verstecken und noch mehr Spielmaterial.

Erstaunlicherweise waren die entstandenen Tumore nach drei Wochen bei den »reichen« Mäusen 43 Prozent kleiner als bei ihren Kollegen in Standardkäfigen. Nach sechs Wochen zeigte sich der gesundheitliche »Vorsprung« der »reichen« in 77 Prozent kleineren Tumoren gegenüber den Normalmäusen. Manche von ihnen hatten überhaupt keine sichtbaren Tumore mehr. Die Kontrollgruppe dagegen war durchgängig massiv erkrankt.

During berichtet: »Das Ergebnis war sehr robust und aufregender, als wir vorhergesehen hatten.« Die Forscher fanden es so schockierend, dass sie den Versuch fünf Jahre lang mit insgesamt 1500 Tieren wiederholten. Dabei wiesen sie den Effekt mit einer anderen Gruppe auch für Darmkrebs nach. »Sensorische, kognitive und motorische Stimulation kann vor vielen Krankheiten schützen«, schreibt During. »Aber welche Umweltaspekte lassen den Tumor schrumpfen?«

Die Forscher identifizierten verschiedene Faktoren, zum Beispiel den »Brain-Derived Neurotrophic Factor« (BDNF, übersetzt: hirnabgeleiteter neurotrophischer Faktor). BDNF gehört zu den Stoffen, die die Verbindung zwischen Nervenzellen befördern. Und auch das Protein-Hormon Leptin (es regelt den Appetit) ist offenbar wichtig. Als die Erzeugung oder Wirkung der genannten Stoffe blockiert wurden, gingen auch die positiven Effekte der »reichen« Umgebung verloren.

Doch scheint dies noch nicht schlüssig zu sein: Die Leptin-Produktion wurde z. B. mit dem Betablocker Propranolol unterbunden, der schon lange bei der Bekämpfung von Bluthochdruck im Einsatz ist. Eine Wechselwirkung bei der Krebstherapie hätte längst auffallen müssen.

Die Autoren des Berichts fordern jedenfalls alle Wissenschaftler (und nicht nur die in der Hirnforschung) auf, den Einfluss der Laborbedingungen auf ihre Versuchstiere zu untersuchen.

Und was ist mit uns Menschen? »Lieber arm und gesund als reich und krank«, wie meine Großmutter meinte? Offenbar nicht! »Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt!« So sah es auf Grund seiner Erfahrungen der Berliner Maler Heinrich Zille.

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