Meister des Makels
Fotograf Peter Lindbergh präsentierte seine Ausstellung »On Street« bei C/O Berlin
»Es hilft überhaupt nichts«, so die für Normalsterbliche sehr beruhigende Antwort des Fotografen Peter Lindbergh auf die Frage, wie es denn sei, dauernd die schönsten Frauen der Welt vor der Linse zu haben. »Man muss trotzdem noch zur Toilette.« Es ist unter anderem dieser bodenständige Charme Lindberghs, der den gebürtigen Duisburger zum weltweit gefeierten Modefotografen werden ließ, den nicht wenige zu den einflussreichsten Bildkünstlern unserer Zeit rechnen. Denn diese schnörkellose aber nicht trockene, sondern im Gegenteil höchst unterhaltsame Sachlichkeit schlägt sich auch in seinen Arbeiten nieder. Die ziehen ihren Reiz aus dem nicht nur zugelassenen, sondern geradezu zelebrierten Makel, aus einer kunstfertig hergestellten »Normalität«, die der Meister des Modefotos dem oft zu Tode inszenierten Genre zurückgegeben hat. Die Galerie C/O Berlin zeigt bis 9. Januar die Werkschau »On Street«.
Lindberghs natürlicher Feind ist der Retuscheur, vor dem er sich – er kann so was mittlerweile durchsetzen – vertraglich schützen lässt. Nicht auszudenken, was die eifrigen Photoshop-Glattmacher etwa aus dem berühmten Lindbergh-Porträt von Jeanne Moreau (siehe Abbildung) gemacht hätten, hätte man sie gewähren lassen. Dieses Bild ist ein Erlebnis an Intensität und Mut zur »Hässlichkeit«. Es ist das Zentrum der 120-Bilder-Schau in der von Investoren bedrohten C/O Galerie im Postfuhramt in Mitte. Und es überrascht nicht, dass es zu den Lieblingswerken des Künstlers zählt. Umgeben von anderen mittlerweile zu modernen Ikonen gereiften Arbeiten krönt »die Moreau« in der dreigeteilten Exposition die Abteilung der Lindbergh-Klassiker.
Empfangen wird der Besucher zunächst von einer Serie von Berlin-Bildern. Auch diese sind geprägt von betont »normaler« Motivauswahl: Ein Notlicht, das erst per Bildunterschrift der Deutschen Oper zugeordnet wird, eine Nachtschwärmerin im Club »Tresor«, vom Model Tatjana Patitz sieht man das Knie – nicht das berühmte Gesicht. Der dritte Teil der Schau besteht aus den wohl titelgebenden »Streetfotos«: Modeschüsse in den Straßen New Yorks, auf denen sich die Models gleichberechtigt unter die Passanten mischen. »Fabriziert, nicht inszeniert«, beschreibt der Fotograf die Entstehung.
Zur Eröffnung sagt Lindbergh Sätze wie »ein Mund ist schön, wenn er intelligente Dinge sagt«, oder »ist jemand sensibel, kann er nicht hässlich sein«, oder »Blicke sind erotischer als Busen oder Beine«. Irgendwie schafft er es aber, solche doch eher einfachen Wahrheiten nicht banal klingen zu lassen. In seinen Werken führt Lindbergh zudem den Beweis, dass er hier keine Klischees zitiert, sondern sein Arbeitsethos. »So, jetzt habe ich genug pathetisches Zeug geschwafelt«, sagt er noch und geht.
Bis 9. Januar, täglich von 11 bis 20 Uhr, C/O Berlin, Postfuhramt, Oranienburger Straße 35/36, Mitte, Tel.: (030) 28 09 19 25, Infos unter www.co-berlin.info
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