- Kultur
- ZEITungs-SCHAU 1990
Die postsozialistische Spielhölle
Berlins Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz dümpelte. Nach der Wende stand die Alternative: tot oder berühmt. Castorf hat's entschieden
Sie ist ein traditionsreiches Haus, die Volksbühne. Hier inszenierten Erwin Piscator, hier hatte der große Benno Besson sein Domizil – letzte künstlerische Station seiner Berlin-Lebensreise, die vom Berliner Ensemble übers Deutsche Theater an den Rosa-Luxemburg-Platz geführt hatte. Mit dem Ende der DDR schien das Haus gefährdet. Mehrere Übergangslösungen zwischen Bewahrung und Begräbnis. Bis ein Gutachten einen DDR-Querulanten als neuen Intendanten vorschlug: Frank Castorf. In den Kesseln des Tankers, der fast ein Totenschiff geworden wäre, loderte wieder Feuer ...
Den Anstoß gab ein offener Brief vom April 1991, u.a. vom Essayisten Friedrich Dieckmann und vom Theatermann Ivan Nagel unterzeichnet. In ihm wurde überlegt, diesen »Bau von schlagender Häßlichkeit«, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, »einer jungen Truppe, vermutlich mit Ex-DDR-Kern« zu geben. Der Brief schließt: »Bis zum dritten Jahr könnte sie entweder tot oder berühmt sein; in beiden Fällen wäre die weitere Subventionierung unproblematisch.«
Die Volksbühne entschloss sich dazu, nicht tot, sondern berühmt zu sein. Überlegungen, aus dem Gebäude ein Schwimmbad zu machen, mussten folglich aufgegeben werden. Denn der junge Intendant Frank Castorf erwies sich als jemand, der beharrlich gegen den Strom des Theaterbetriebs zu schwimmen verstand. Er tut dies immer noch.
Das Erfolgsrezept: Enttäusche alle Erwartungen und wecke in der Enttäuschung Unerwartetes!
Die Volksbühne war für den Osten Berlins, der sich langsam vom Westen aufgesog...
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