Im Dienste der Stauffenbergpartei

Das Tagebuch des Jeremy-Maria zu Hohenlohen-Puntiz – 14. Folge

  • Lesedauer: 3 Min.
Was letzte Woche geschah: Kalle ist der Neue von Ursel. Der gehörnte Roland ahnt noch nichts. Schließlich muss Wahlkampf geführt, ein Bestseller geschrieben und die Steinbach ferngehalten werden. Außerdem: Ein Bundespräsident, der hinterm Steuer eines Polos der Stadtwerke Wolfsburg geblitzt wurde, eine Bürgermeisterkandidatin, die nicht berlinern kann. Mittendrin der Baron.

Valium, sanfter hundertjähriger Schlaf. Doch wie ich erwache, ein höllischer Schmerz, strahlt vom rechten Fuß bis zum Hirn. Eine am Abend, nach der Mitgliederanwerbung, achtlos fallen gelassene Pickelhaube hat sich mir mit ihrer Spitze ins Fleisch gebohrt. Blut mäandert über die marmorierte Samthaut meiner Fußsohle. Womöglich ist die traditionsreiche Kopfbedeckung kein geeignetes Kinderspielzeug, denke ich. Dies erklärt auch, warum sich so viele Mütter über unser Parteigeschenk an die Kleinen erbosten. Leider war ihr Zorn noch das geringste Übel, das uns gestern widerfahren ist.

Es hat auf dem Weg zum Neuköllner Hermannplatz begonnen, wo wir Parteiwerbung verteilen wollten. Ursel und Kalle im vertrauten Gespräch. Scherze. Roland hinterher, ein eifersüchtiger Blick. Als wisse er Bescheid. Dann die erste Provokation. »Die Erhöhung des Hartz-IV-Satzes um 5 Euro! Was kommt als nächstes, Hotelgutscheine für St. Moritz? Schamlos!« Ursel verteidigt sich und verweist auf die Strategie, im Stillen die Sozialhilfe in ein Gutscheinsystem umzuwandeln. »Polit-Schnecke«, mault Roland, unserem »Radikalinski« kann es nicht schnell genug gehen. »Fünf Scheiben Toastbrot am Tag reichen aus, es müssen nicht immer Dosenravioli sein. Gegen Skorbut schützt auch eine Zwiebel.« »Alles zu seiner Zeit«, versuche ich zu beschwichtigen und führe an, dass nun immerhin Alkohol und Tabak aus der Berechnung herausgenommen seien, Genussmittel, die nur einer im maßvollen Umgang geübten Oberschicht zustehen sollten. »Und wie kann es sein, dass einem Schulversager, der reihenweise Sechsen schreibt und zu fett fürs Reck ist, ein genauso unverschämt hoher Satz zusteht wie dem athletischen Klassenprimus?« »Das gehen wir als nächstes an«, zischt Ursel.

Doch zwecklos, Roland tobt. Kalle, Renate, Jauch mischen sich ein, das Schubsen und Keifen beginnt. Paradox. Jeden von uns schüttelt es beim Gedanken an die fetten Prekäriatsmaden, die sich durch den verwesenden Leib des Wohlfahrtsstaates fressen. Erst kürzlich haben wir in allseitiger Begeisterung beschlossen, nach der Revolution Sozialschmarotzer und ihre Sippen zu verpflichten, bei Steuerzahlern unentgeltlich zu putzen. Trotzdem dieser Streit um Feinheiten. Wir anderen stehen ratlos im Abseits und ziehen schließlich ohne die Streithähne weiter.

Am Hermannplatz, kalte Ablehnung. Wo ist die schweigende Mehrheit? In Neukölln jedenfalls nicht. Die Pickelhauben für Kinder: »Hässliche, unpraktische Fahrradhelme, Kriegsspielzeug.« Die Peitschen für Eltern: »Nix Scharia!« Als wir einem Flaneur einen Zuckerwürfel mit imprägniertem Parteilogo anbieten, gibt er sich als Brandenburger Polizist auf Hauptstadturlaub zu erkennen, will uns wegen Drogenhandels seinen Berliner Kollegen übergeben. Weil wir ihm glaubhaft darlegen, dass wir hinter Speers Laptopdiebstahl stecken und sein Bundesland so vor dem fahrlässig sparwütigen Feind aller Schutzmänner bewahrt haben, lässt er uns laufen.

Ich humple zu Leonores Käfig, ziehe das Seidentuch herunter. »Krakä!« Ein fröhlicher Morgengruß. Am Tag der Einheit gehen wir ans Brandenburger Tor. Bis dahin ist die Pickelhaubenwunde am Fuß sicher verheilt.

Der satirische Tagebuchroman des konservativen Verschwörers erscheint jeweils in der Mittwochausgabe des ND. Die nächste Folge erwarten wir am 6. Oktober 2010.

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