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Unsoziale Worthülsen
Die »wettbewerbsfähigste wissensbasierte Ökonomie der Welt« mit »mehr und besseren Arbeitsplätzen und gestärktem sozialen Zusammenhalt« sollte die Europäische Union (EU) werden. Von »Vollbeschäftigung« und »deutlichen Fortschritten bei der Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung« war im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie bis 2010 die Rede.
Bereits 2005 war kein Fortschritt bei der Erreichung dieser Ziele erkennbar. Ein »Neustart« der Strategie mit dem Fokus auf »Wachstum und Beschäftigung« sollte abhelfen. Ursprüngliche Ziele der Strategie wie »ökologische Nachhaltigkeit« und »Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung« wurden weiter in den Hintergrund gedrängt.
Die Folgen dieser Politik sind sowohl innerhalb wie außerhalb Europas sichtbar. Im EU-Binnenmarkt wird dem Wettbewerb bis in höchste Urteile des Europäischen Gerichtshofs Vorrang vor guter Arbeit und sozialen Standards gegeben. Außenwirtschaftlich wird diese Politik durch »Global Europe« betrieben, eine 2006 verkündete aggressive Strategie der EU zur Öffnung weltweiter Märkte für europäische Unternehmen. Motor dieser Politik ist nicht zuletzt der bisherige Exportweltmeister Deutschland. Durch diese Freihandelspolitik geraten gerade ärmere Bevölkerungsgruppen in Entwicklungs- und Schwellenländern unter die Räder – genauso wie eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Entwicklung der Binnenwirtschaft in Europa und wirtschaftlich schwächere EU-Staaten.
Die Kommission malt dagegen ein schönfärberisches Bild der alten Lissabon-Strategie. Eine breite öffentliche Diskussion darüber wird nicht angestrebt. Gerade sie wäre nötig, um Schlussfolgerungen für die neue Ausrichtung der EU für die kommende Dekade zu ziehen. Dies gilt insbesondere für die »Europäische Beschäftigungsstrategie«. Unbefristet Beschäftigten und Prekarisierten gleichermaßen offeriert man seit wenigen Jahren auf europäischer Ebene das Konzept »Flexicurity«. Die künstliche Verbindung der Begriffe »flexibility« und »security« soll eine Versöhnung von Flexibilität und Sicherheit symbolisieren. Damit soll, so die EU-Kommission, »Arbeitnehmern der sichere Übergang von einem Job in den anderen erleichtert werden, ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen leidet«. Auf diese Weise ließe sich auch ein sogenanntes europäisches Sozialmodell erhalten. Zu den Maßnahmen, die im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie für mehr »Flexicurity« sorgen sollen, zählt laut EU-Kommission »die Unterstützung des lebenslangen Lernens, die Verbesserung der Betreuung von Arbeitssuchenden sowie die Förderung der Chancengleichheit für alle und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen«.
Wohin es in Europa wirklich gehen soll, lässt sich in der Mitteilung der Brüsseler Behörde mit dem Titel »Mehr und bessere Jobs durch Flexibilität und Sicherheit« aus dem Jahr 2007 nachlesen: »Individuen brauchen zunehmend Beschäftigungssicherheit anstelle Arbeitsplatzsicherheit, weil immer weniger ein Leben lang am selben Arbeitsplatz arbeiten.« Im Klartext: Wichtiger als Arbeitnehmerrechte sei es, schnell einen neuen Job zu finden. Die neue EU-Kommission formuliert das noch klarer: »Hauptsache Arbeit – zu welchen Konditionen auch immer« ist die Botschaft von Kommissar Andor.
Was da als »Flexicurity« daherkommt ist so nicht mehr als das dünne Eis trügerischer Hoffnung vor dem Einbruch, ein sozial- und gesellschaftspolitischer Euphemismus, der in keinem EU-Mitgliedsland sichtbare Erfolge vorzuweisen hat.
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