Durchquerung des Dschungels
MEDIENgedanken: Zeitung im Zeitalter des Internets
Während meines Studiums lernte ich in der Lokalzeitung in der bayerischen Provinz, in der ich als Student meine ersten journalistischen Gehversuche unternahm, einen altgedienten Redakteur kennen. Eines Tages kam der Kollege von einem Termin in die Redaktion zurück. In der Stadt hatte sich die Landes-SPD zu ihrem Parteitag getroffen und darüber sollte er für die aktuelle Zeitungsausgabe berichten. Auf dem Rückweg hatte er sich bereits die Sätze überlegt, die er schreiben wollte. Dabei hörte er Radio und musste feststellen, dass genau das, was er schreiben wollte, bereits vom Reporter des erst seit kurzem bestehenden Lokalfunks mitgeteilt wurde. Warum, so fragte sich der gute Mann, komme ich überhaupt noch zum Schreiben in die Redaktion? Und er gab sich und den jüngeren Kollegen gleich die Antwort: Der Printjournalismus müsse sich von der Vorstellung verabschieden, ein aktuelles Medium zu sein, das den Leser exklusiv mit Informationen versorge. Zeitungen müssten in Zukunft ein Medium für Reflexionen, Meinungen, Gedanken, Nachdenkenswertes sein.
Das ist eine rund 15 Jahre zurückliegende Anekdote aus dem Vor-Internet-Zeitalter. Mittlerweile hat sich der Nachrichten- und Informationsfluss zwischen Sender und Empfänger beschleunigt. Mehr noch: Die Empfänger selbst sind durch die Möglichkeiten, die die neuen elektronischen Medien bieten, zu Produzenten von Informationen geworden. Das Medium Zeitung hat nicht nur sein Monopol der Aktualität eingebüßt, es verharrt im Zeitalter der digitalen Kommunikation in einem analogen Status, der den Empfängern von Nachrichten außer in Form von Leserbriefen keine Möglichkeit zum interaktiven Austausch lässt. Die Zeitungen bekommen dies durch sinkende Auflagen zu spüren.
Es ist vor allem die Jugend, die den Zeitungen den Rücken kehrt. Das allein ist noch kein neues Phänomen – das Interesse an einer Zeitung war bei den über 30-Jährigen schon immer größer als bei den 15- bis 20-Jährigen. Seit einigen Jahren aber ist eine neue Entwicklung zu beobachten: Zeitunglesen ist keine Altersfrage mehr, sondern zu einer Generationenfrage geworden. Laut einer Untersuchung des Allensbach-Instituts nahm die Reichweite der Zeitungen in Deutschland bei den Über-29-Jährigen zwischen 1980 und 2008 von 85 Prozent auf 70 Prozent ab. Anders gesagt: 70 Prozent derjenigen, die 30 Jahre und älter sind, lesen eine Zeitung. Bei den 14- bis 29-Jährigen sank im gleichen Zeitraum die Reichweite dagegen von rund 75 Prozent auf 40 Prozent. Allensbach hat aber auch festgestellt, dass jene, die mit 20 keine Zeitung gelesen haben, dies auch in höherem Alter in der Regel nicht tun. Es braucht keine besondere Phantasie, um die Frage zu beantworten, woher die Jugend heute ihre Informationen erhält: aus dem Internet. Von dieser Entwicklung ist übrigens auch der Fernsehkonsum betroffen, wenn auch (noch) in geringerem Maße.
In der Medienforschung gilt die Regel, dass mit dem Aufkommen neuer Medien und Kommunikationsformen sich lediglich Verschiebungen zwischen den einzelnen Systemen ergeben und kein Medium ein anderes vollständig verdrängen kann. Weder wurde die mündliche Überlieferung durch die Schrift, noch hat das Buch den handgeschriebenen Text, noch das Telefon den Brief, noch das Fernsehen das Kino oder das Theater ersetzt. Warum sollte das mit dem Internet anders sein?
Das Internet wird die Zeitung zwar an den Rand drängen, doch Zeitungen werden auch in Zukunft noch ihre Leser finden, denn sie bieten etwas, dass das Internet kaum hat: Orientierung. In den 1980er Jahren haben Studien in den USA ergeben, dass Jugendliche, die regelmäßig eine Zeitung oder ein Buch lesen, aus Fernsehsendungen eher die relevanten Informationen herausfiltern können als die gewohnheitsmäßigen TV-Nutzer. Gleiches dürfte für das Internet gelten: Wer über die Basisbildung Lesekompetenz verfügt, findet sich leichter im Dschungel der Bilder, Texte und Informationen des Worldwideweb zurecht.
Zeitungen haben jedoch nur dann eine Zukunft, wenn sie das Medium Internet nicht ignorieren. Das bedeutet nicht nur, das Internet als weiteren Vertriebsweg von Print-Informationen zu sehen, sondern auch, das Internet als Informationsquelle und Qualitätsmedium jenseits von Google und Wikipedia ernst zu nehmen. Längst gibt es sogenannte Blogger, die interessante Gedanken in ihren Internet-Tagebüchern niederschreiben, in Echtzeit finden Debatten statt und werden Informationen verbreitet. Doch wo bleibt die Struktur, die Ordnung, der Wegweiser durch diesen Dschungel?
Die heute zum ersten Mal im ND erscheinende Seite »Medial« will eine Art Bindeglied und Wegweiser zwischen Print und Internet sein. Künftig wird unter »Blogwoche« ein Auszug aus einem Weblog veröffentlicht. Daneben stellen wir in der Rubrik »Dokfilm« in Zusammenarbeit mit der Plattform »onlinefilm.org« Dokumentarfilme vor, die selten den Weg ins TV-Programm finden, weil den Programmverantwortlichen dort entweder das Format oder der Inhalt oder beides zu sperrig ist. Die Filme können über den am Ende des Textes genannten Link via Internet gegen einen Obolus gekauft werden. Selbstverständlich gibt es eine Vorschau des Films auch unter www.nd-aktuell.de zu sehen. In der Rubrik »Out of Space« finden Meldungen einen Platz, die zwar irgendwann irgendwo veröffentlicht wurden, aber in der Nachrichtenflut untergegangen sind. Getreu dem Motto: Alles ist im Fluss, für den guten Fang braucht man aber die richtige Angel.
Der Autor ist ND-Medienredakteur
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