Zuwanderer helfen Zuwanderern
Niedersächsisches Modell macht Schule
Osnabrück. Helga Raabe hat 15 Jahre mit ihrer Familie in Afrika gelebt. »Dort war ich Fremde und musste mich integrieren. Als ich nach Deutschland zurückkam, musste ich mich erst wieder zurechtfinden«, sagt die 68-Jährige. Heute lebt sie in Osnabrück und engagiert sich als Integrationslotsin. »Ich will mich um die Menschen kümmern, die sich hier noch nicht zu Hause fühlen.« Sie gibt Deutschkurse für ausländische Frauen, organisiert Willkommenstage und lernt mit Migrantenkindern – alles ehrenamtlich.
Niedersachsens Integrationsministerin Aygül Özkan (CDU) ist von der Arbeit der Lotsen überzeugt, sie leisteten unbürokratisch Überzeugungsarbeit von Mensch zu Mensch: »Sie engagieren sich als Sportlotsen, Hochschullotsen oder Bildungslotsen. Jeder dort, wo er am besten unterstützen kann.«
Der Ton der Muttersprache
Wenn Ekaterina Roeva (25) mit energischem Schritt den Gang entlang eilt, dann hellt sich das Gesicht von Viktor P. auf. Zwar spricht der alte Herr auch einigermaßen Deutsch, aber Russisch ist die Sprache seiner Kindheit. Viktor P. lebt im Bischof-Lilje-Altenzentrum in Osnabrück. Den größten Teil seines Lebens hat er wie mehrere seiner Mitbewohner in Russland verbracht. Ekaterina ist in Kasachstan geboren. Heute studiert sie Jura und engagiert sich als Integrationslotsin. »Ich dachte zu Anfang, ich muss vielleicht bestimmte Dinge regeln oder übersetzen. Aber die Alten freuen sich einfach, wenn ich mit ihnen in ihrer Muttersprache spreche.«
In einer Analyse haben Wissenschaftler des Osnabrücker Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien 2009 festgestellt, dass sich sowohl gut integrierte Zuwanderer als auch interkulturell aufgeschlossene Einheimische zu Integrationslotsen ausbilden lassen. Das sei nur einer der positiven Aspekte des insgesamt sehr sinnvollen Programms, urteilt Institutsdirektor Andreas Pott.
Ehrenamtler als Alibi
»Wenn Deutsche und Zuwanderer ganz selbstverständlich einbezogen sind, ist das auf jeden Fall ein guter Ansatz«, so Pott. Mittlerweile hätten auch andere Bundesländer das niedersächsische Modell übernommen, das es seit 2007 gibt. Allerdings könne ein solches Freiwilligen-Projekt eine systematische Integrationspolitik nicht ersetzen. Mindestens bis zum Jahr 2000 habe es nur eine Migrationsverhinderungspolitik, aber keine Integrationspolitik gegeben. Mittlerweile würde Versäumtes zwar nachgeholt. »Die Politik darf sich aber auch jetzt nicht hinter Ehrenamtsprojekten verstecken und sie als Feigenblatt benutzen«, so Pott.
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