100 Vietnamesen droht Abschiebung
Senat für Inneres bestätigt Rückführdatum Ende November / Berlin eigentlich nur Transitort
Rund 100 Vietnamesen sollen am 29. November ab Schönefeld in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Das bestätigte Kristina Tschenett, Sprecherin von Innensenator Ehrhart Körting (SPD), dem Neuen Deutschland. Genauere Angaben zur Abflugzeit machte sie nicht. Wie aus gut unterrichteten Kreisen zu erfahren war, sollen bereits jetzt mehrere der Abzuschiebenden in Berlin, Brandenburg und weiteren Bundesländern in Abschiebehaft sitzen.
Ende Oktober ist zudem eine sogenannte Botschaftsvorführung bei der vietnamesischen Botschaft in Berlin vorgesehen. Dort wird bei einem Teil der Abschiebekandidaten geklärt, ob sie überhaupt vietnamesische Staatsbürger sind und ob Vietnam bereit ist, sie zurückzunehmen.
Vietnamesen sind die größte Gruppe von Asylbewerbern in Berlin und die viertgrößte bundesweit. Ihre Chance im Asylverfahren ist äußerst gering. Die meisten kamen nicht wegen politischer Verfolgung nach Deutschland, sondern um von hier aus ihre Familien zu ernähren. Da sie als Asylbewerber nicht arbeiten dürfen, tun sie das auf illegale Weise. Deutschland ist für einen Großteil der vietnamesischen Flüchtlinge zudem nicht Ziel der Flucht. Eigentliches Ziel ist überwiegend Großbritannien.
Berlin hat sich aber nach Polizeiangaben als wichtiger Transitort entwickelt, wo viele Flüchtlinge bei schon länger hier lebenden Landsleuten oft einige Zeit unterkommen und oft auch das Geld für die Weiterreise verdienen müssen. Verdienstquellen sind der illegale Zigarettenhandel, Prostitution oder auch Jobs als Kindermädchen in vietnamesischen Familien.
Fast alle vietnamesischen Flüchtlinge stammen aus zwei agrarisch geprägten Provinzen in Zentralvietnam. Die Region wird jeden Herbst von tropischen Taifunen und Hochwasserkatastrophen heimgesucht, bei denen viele Familien ihr Hab und Gut verlieren. Wegen einer zunehmenden Versalzung des Grundwassers funktioniert die Erwerbsquelle Landwirtschaft zudem immer schlechter. Alternativen gibt es wenige, weil Investoren einen Bogen um diese Armutsprovinzen machen. Viele der Billiglohnarbeiter in den Fabriken in Vietnams Boomzentren stammen aus diesen Regionen. Von den geringen Gehältern zwischen 50 und 100 Dollar im Monat können sie allerdings nichts ihren Familien schicken. Somit gilt eine Flucht nach Europa als attraktiver.
Zwei bis drei Mal pro Jahr finden Sammelabschiebungen aus Deutschland nach Vietnam statt. Als im Juni 2009 so eine Sammelabschiebung erstmals nach zehn Jahren wieder ab Berlin-Schönefeld startete, war das mit Protesten von Flüchtlingsgruppen und Politikern verbunden. In anderen Bundesländern hat es diese Proteste bisher nicht gegeben.
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