Die Tochter der Oberbürgermeisterin Hanke

Bärbel Dalichow und Uwe-Karsten Heye schrieben eine DDR-Familiengeschichte

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Direktorin des Potsdamer Filmmuseums und der einstige Sprecher der Bundesregierung haben ein DDR-Buch verfasst. »Wir wollten ein anderes Land«, heißt das Werk von Bärbel Dalichow und Uwe-Karsten Heye. Dalichow ist die Tochter der langjährigen Potsdamer Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke (SED) und des Professors Helmut Hanke.

Ein wichtiges Stück Stadtgeschichte lebt in diesem Buch auf. Man erfährt Neues um die Beseitigung der Ruinen von Garnisonkirche, Heilig-Geist-Kirche, Stadtschloss und vor allem, dass das heutige Klischee den wirklichen damaligen Frontverlauf nicht abbildet. Funktionäre trafen damals auch Entscheidungen, die gut und richtig waren und in Potsdam das meiste von dem bewahrten, was der angloamerikanische Bombenhagel gegen Ende des Zweiten Weltkriegs beschädigt hatte.

Der Blick der Autoren ruht ausführlich auf dem sozialistischen Vorzeigepaar Hanke, und »das klingt nach einer Apparatschik-Bilderbuchkarriere«, schreibt Heye. Die Ehe einer Konfektionsschneiderin und eines vormaligen Katholiken aus kleinen Verhältnissen ist sozusagen die Bühne des Buches. Ihnen war der Sozialismus alles, sie verdankten ihm Bildung und noch viel mehr. Als Menschen mit Stärken und Schwächen, aber immer mit heißem Herzen haben sie ihn gestaltet, Restzweifel wuchsen sich erst viel später aus.

Thema des Buches ist ihre ehrliche, fast kindliche Bewunderung für Stalin, ihre Standhaftigkeit, die auch als Borniertheit gewertet werden kann. Zitiert wird aus Briefen, in denen das Glockenspiel des Kremls erklingt. Bärbel Dalichow findet warme Worte für ihre Mutter, die nach dem Krieg als Oberbürgermeisterin in Potsdam vor einem Trümmerhaufen stand.

Bärbel führte, das erfährt der Leser in aller Ausführlichkeit, das Leben eines DDR-Prominentenkindes, das sehr viele Vorteile, jedoch auch wesentlichen Nachteile hat. Da ist die schöne große Wohnung mit Garten am Heiligen See, da sind exquisite Ferienheime, frühe Auslandsreisen, sogar ein bisschen Westgeld.

Das Buch gewährt aber auch Einblick in eine Kindheit, geprägt von Wochenkrippe und Zwangsaufenthalten bei der ungeliebten Oma, einen Einblick in die Seele eines Mädchens, das sich immer nur »abgestellt« und oft vernachlässigt fühlt. Bärbel Dalichow wird später zwei Totgeburten erleiden müssen. Dass sie immer die »Tochter der Oberbürgermeisterin« sein musste, war etwas, wofür sie sich mit Energie und Hass auf ihr Vaterland gerächt hat.

Ihr größtes Privileg war zweifellos nicht der Schutz durch Mutters Dienstpistole, sondern der Schutz, den sie als Tochter eines Staatsratsmitgliedes jederzeit genoss. Die junge Bärbel war von Kopf bis Fuß auf Protest eingestellt und das auf eine mitunter besinnungslose Weise. Sie verweigerte die Beiträge für die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft mit der Begründung, sie habe die schlichten Lebensverhältnisse der Menschen in Odessa kennengelernt. Sie verweigerte die für Studenten obligatorische Ausbildung in der Zivilverteidigung. Auch ihre Vorbereitung zum »ungesetzlichen Grenzübertritt« brachten ihr nicht mehr ein als eine Zeitlang regelmäßige Verhöre bei der Staatssicherheit. Ihre Freundin hatte es nicht so gut, sie saß in dieser Zeit in Untersuchungshaft.

Es ist atemberaubend, mit welcher Engelsgeduld der Staat der jungen Bärbel die Hand gereicht hat. Die notorisch aufsässige Bärbel, die jede Anpassung verweigerte, genoss Narrenfreiheit. Sie konnte das Abitur erwerben, bekam ein Volontariat bei der »Berliner Zeitung«. Die Mutter besorgte eine Wohnung in Berlin. Ausbildung abgebrochen. Bärbel wurde Besucherführerin in Sanssouci mit Aussichten auf Westgeld. Es folgten das Studium der Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität und ein Studium an der Potsdamer Filmhochschule. Sie bekam Arbeit im neuen Filmmuseum, leitete dort die Abteilung Filmkunst. Machte keinen Spaß mehr. Bärbel lernte Uhrenverkäuferin und wurde, nachdem auch das vorbei war, Stipendiatin des Kulturfonds der DDR, promovierte.

Alle sozialpolitischen Maßnahmen konnte Bärbel nutzen. Sie erhielt vollen Lohn, obwohl sie nur drei Tage in der Woche arbeitete. Sie ist sich heute sicher: »An ihrer Kinderfreundlichkeit ist die DDR nicht untergegangen.«

Wenn Uwe-Karsten Heye behauptet, dass in der DDR »politischen Abweichlern« Abitur und Studium verwehrt blieben, dann muss er von seiner Koautorin abstrahieren. Bärbel Dalichow ist gleich nach der Wende Chefin des Filmmuseums geworden.

Uwe-Karsten Heye, Bärbel Dalichow: »Wir wollten ein anderes Land – Eine Familiengeschichte aus der DDR«, Droemer Verlag, 288 Seiten, 19,95 Euro
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