Kleiner Protest, große Wirkung
Aktionen gegen »Klimaverbrechen im Weltmaßstab« im Rheinischen Braunkohlerevier
Drei Stunden lang blockierten sie sitzend die Zugänge zum Braunkohlekraftwerk Niederaußem. Sie verschlossen die Eingangstore mit dicken Ketten, forderten auf Transparenten: »Systemwandel statt Klimawandel!«, trugen große schwarze Säcke mit der Aufschrift CO2. Schließlich gesellten sie sich zu einer Mahnwache vor dem Schwesterkraftwerk in Neurath.
Kurz: Am Samstag demonstrierten insgesamt rund 50 Klimaschützer der Kampagne »Wer anderen eine Grube gräbt ...« gegen die Klimazerstörung, die vom Rheinischen Braunkohlerevier ausgeht. Dort betreibt der Energie-Oligopolist RWE mehrere besonders schädliche Kraftwerke und drei Kohletagebaue – und ist damit der wichtigste Vor-Ort-Arbeitgeber der strukturschwachen Region.
»Was sich im rheinischen Braunkohlerevier abspielt, ist ein Klimaverbrechen im Weltmaßstab«, begründete Timo Luthmann, der Sprecher der Kampagne, die Aktionen. Das angekündigte Ziel, den »reibungslosen Ablauf« im Revier zu stören, erreichten die Demonstranten indes nicht.
Sowohl örtliche Polizei als auch RWE übten sich in demonstrativer Gelassenheit: Friedlich seien die Proteste gewesen, Betriebsabläufe nicht ernsthaft gestört worden. Im Gegenzug lobten die Aktivisten das deeskalierende und zurückhaltende Verhalten von Polizei und Unternehmen.
Dass Deutschland gerade zur protestierenden »Dagegen-Republik« (»Der SPIEGEL«) mutiert, hat den Klimaschützern offenbar sowohl genutzt als auch geschadet. Geschadet insofern, als die Teilnehmerzahl doch recht überschaubar blieb – zwischen Stuttgarter Protestmarathon und den anstehenden Castortransporten fand manch ein als »Berufsdemonstrant« Geschmähter schlicht nicht den Weg ins Rheinland.
Doch war die mediale Erwartungshaltung nach Stuttgart und die daraus resultierende Resonanz hoch: Alle Medien der Region berichteten ausführlich über die Proteste – vorher, währenddessen, danach. Selbst der in der Region beliebte Sender »Radio Erft« unterbrach sein übliches Dudelprogramm. Wohl vor allem deswegen fanden einige Anwohner den Weg zur Mahnwache. »Insgesamt kamen aber weniger Leute aus der Region, als wir erwartet hatten«, räumt »Wer anderen eine Grübe gräbt«-Sprecher Luthmann ein.
Bisher war dem durchschnittlichen Rheinländer eher nicht bekannt, welche Klimamonster in seiner Nachbarschaft stehen. Ein jahrelanger, scharf ausgetragener Konflikt tobte allenfalls über den Ausbau des rheinischen Tagebaus Garzweiler. Vorherige, weniger spektakuläre Aktionen gegen die Braunkohleverstromung, beispielsweise des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), hatten weniger Resonanz erzeugt als die medienwirksamen Aktionen am Wochenende. Letztere sind, geht es nach den Organisatoren, lediglich der Auftakt für eine längerfristige Kampagne. Geplant sei insbesondere ein »aktionsorientiertes« Klimacamp im Sommer des kommenden Jahres.
Die größten klimapolitischen »Erfolge« der Bundesrepublik speisen sich aus der Stilllegung der meisten ostdeutschen Braunkohlekraftwerke Anfang der 1990er Jahre. Als »Wall Fall Profits«, als Mauerfallprofite, verspottet mancher die dadurch erzielten Reduktionen des deutschen CO2-Ausstoßes. Diesen Stilllegungen zum Trotz ist Deutschland eines der wenigen europäischen Länder, die noch auf die Verstromung des besonders klimaschädlichen Energieträgers Braunkohle setzen.
Sechs der zehn übelsten Kohlendioxid-Quellen des Kontinents stehen nach einer Studie der Umweltschutzorganisation WWF in Deutschland, vier davon im Rheinischen Braunkohlerevier. Darunter die Kraftwerke Neurath und Niederaußem, gegen die am Samstag protestiert wurde.
Für beide Kraftwerke liegen Ausbaupläne vor. RWE verkauft das allen Ernstes als Beitrag zum Klimaschutz, weil die neuen Kraftwerksblöcke natürlich effizienter wären als ihre teils Jahrzehnte alten Vorgänger. Doch ist äußerst fragwürdig, ob die alten Kraftwerke stillgelegt werden – oder weiterhin, dann zusammen mit den neuen Kraftwerkskollegen, Treibhausgase, Radioaktivität und krebserregende Gifte ausstoßen sollen.
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