Das große Sterben im Herzen Afrikas
In der ZAR ist die Sterblichkeitsrate viermal so hoch wie im afrikanischen Durchschnitt
Noch leben 3,4 Millionen Menschen in der Zentralafrikanischen Republik. Das ist wenig für ein Land, das mit 622 000 Quadratkilometern fast so groß ist wie Frankreich mit seinen mehr als 60 Millionen Einwohnern. Und es werden immer weniger. Allein in diesem Jahr dürfte das verarmte Land sechs Prozent seiner Bevölkerung verlieren. Monatlich sterben fünf von tausend Einwohnern. Das sind viermal so viele wie im afrikanischen Durchschnitt. In den USA dagegen sterben nur sieben auf zehntausend Menschen im Monat. Die Lebenserwartung in der Zentralafrikanischen Republik ist auf 44 Jahre gesunken.
Das Land, das an kriegsgeplagte Nachbarn wie Tschad, Sudan und die Demokratische Republik Kongo grenzt, ist damit selbst auf das Niveau der Krisenregionen gefallen. »Die Sterblichkeit in der Zentralafrikanischen Republik ist vergleichbar mit jener in den bekannten Krisenregionen Darfur und Kongo«, sagt Patrick Vinck, Forscher am Zentrum für Menschenrechte der Universität Berkeley in Kalifornien.
Vinck und seine Kollegin Phuong Pham haben eine große Feldstudie in der Zentralafrikanischen Republik durchgeführt. Sie studierten die Folgen von Gewalt im Zusammenhang mit dem Friedensprozess und dem Wiederaufbau. Seit 1996 fanden in der ZAR nicht weniger als elf Staatsstreiche oder Meutereien statt. Zwischen 2002 und 2003 versank das Land in einem Bürgerkrieg. Lokale Kämpfe haben nie aufgehört. Sie zwangen viele Menschen, zu Flüchtlingen im eigenen Land zu werden. Viele von ihnen mussten jahrelang in den Wäldern leben. Sicherheitskräfte gibt es faktisch kaum noch, da die Armee sich nicht mehr loyal gegenüber ihrer Führung verhält.
Eines der überraschenden Ergebnisse der Studie: Nur einer von fünf Menschen stirbt an den direkten Folgen von Gewalt. Vielmehr liegt die Sterblichkeit auch in jenen Regionen weit über dem afrikanischen Durchschnitt, die von Gewalt weitgehend verschont worden sind. »Ein großer Teil der hohen Sterblichkeit erklärt sich aus der extremen Armut und dem Mangel an medizinischer Versorgung«, sagt Patrick Vinck. »Beides wird durch die Konflikte nur noch verstärkt.« Eine der Folgen der Konflikte: Niemand investiert in die Infrastruktur oder das Humankapital, in Bildung und Gesundheit.
Das abgeschiedene Land zieht kaum internationale Hilfsorganisationen an – von Investoren ganz zu schweigen. Eine der vielen Folgen: Von den 24 000 Kilometern, die als Straßen gelten, sind gerade 500 Kilometer asphaltiert. Der Rest wird kaum oder gar nicht unterhalten. Eine Geschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde ist normal. Für den, der eilig ins Krankenhaus muss, entscheidet die Geschwindigkeit oft über Leben und Tod. Wer das ganze Land durchqueren will, muss es meist mit dem Flugzeug tun.
Die Vereinten Nationen zählen die Republik zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Auf ihrer Rangliste steht es auf Platz 179 von 182.
Doch nicht allen geht es gleich schlecht. Manchen geht es noch schlechter. So konzentriert sich die Bevölkerung auf zwei große Städte, die Hauptstadt Bangui mit einer Million Einwohnern und Mobaye mit einer halben Million Einwohnern. Der Rest verteilt sich irgendwo im Land – ohne Strom, ohne fließendes Wasser. »Es klingt abstrakt zu sagen, dass diese Menschen ganz am Ende der Rangliste leben«, sagt Patrick Vinck. »Aber stellen Sie sich vor, Sie haben kein Auto und sind Dutzende, wenn nicht hundert Kilometer vom nächsten Arzt entfernt.« Es gebe keine qualifizierte Geburtshilfe. Eine Geburt, die schlecht verläuft, ende auch schlecht, weil kein Arzt da sei. Menschen stürben an Diabetes und anderen heilbaren Krankheiten, nur weil die Medikamente nicht vorhanden oder zu teuer sind, sagt Vinck.
Besserung ist nicht in Sicht. Am 23. Januar wird zwar ein neuer Präsident gewählt. Doch es gibt nur zwei Kandidaten: den amtierenden Präsidenten François Bozizé und seinen Vorgänger Ange-Félix Patassé.
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