Kinnhaken zur »Gefahrenabwehr«
Polizist wegen Körperverletzung im Amt zu Geldstrafe verurteilt
Innerhalb eines Monat stand gestern zum zweiten Mal ein Berliner Polizist wegen einer Prügelattacke auf einen Demonstranten vor Gericht. Erneut ging es um den Protestzug »Freiheit statt Angst« am 12. September 2009, der einen friedlichen Verlauf genommen hatte und am Potsdamer Platz beendet wurde. Was danach geschah, sahen nur wenige.
Das Opfer des polizeilichen Fausthiebes, der damals 16-jährige Schüler Juri E. schilderte die Situation so: Nach Abschluss der Demonstration legten er und ein paar Freunde sich auf eine Wiese nahe der Arkaden. Dort beobachteten sie, wie eine Polizeitraube einen Mann mit einem Fahrrad umstießen, auf ihn einprügelten und sofort einen Absperrring um das Geschehen bildeten. Viele Beobachter reagierten mit verbaler Wut und versuchten, dem Mann zu Hilfe zu kommen. Auch Juri. An der Polizeimauer schimpfte er los und artikulierte wild mit den Händen. Da traf ihn der Fausthieb des 43-jährigen Polizisten Clarence A. voll am Kinn. Danach erklärte der bewaffnete Ordnungshüter dem völlig verdatterten Jungen, dass er sich der Gefangenenbefreiung schuldig gemacht habe und ihm deshalb jetzt die Freiheit entzogen werden müsse.
Juri verstand nicht, was der Mann von ihm wollte und ging zu seinen wartenden Freundinnen. Sie rieten ihm, sich nach der Identifikationsnummer des Polizisten zu erkundigen. Der Schüler ging daher zurück, fragte nach und wurde verhaftet. »In fast freundschaftlicher Atmosphäre«, wie Täter und Opfer übereinstimmend erklärten.
Polizist Clarence schilderte das Geschehen aus seiner Sicht: Auf der Demonstration habe eine »polizeifeindliche Stimmung« geherrscht. Und dann sei aus einem Lautsprecherwagen auch noch das verbotene Lied »Bullenschweine« abgespielt worden. Deshalb sollte das Fahrzeug überprüft werden. Das wollten Demonstranten verhindern, deshalb sei eine »Sicherheitsglocke« gebildet worden. Da sei plötzlich der Schüler auf ihn zugestürmt. Clarence habe das als Angriff wahrgenommen und »zur unmittelbaren Gefahrenabwehr zugeschlagen«. Vorher will er mehrfach Platzverweise ausgesprochen und ihm dann seine Festnahme erklärt haben.
Erneut mussten Videoaufnahmen Auskunft geben, was wirklich geschah. Immer wieder wurden die Film- und Tonausschnitte vorgespielt, um die Frage zu beantworten: War es ein Angriff auf den Polizisten oder eine gesetzeswidrige Gewalttat des Ordnungshüters? Dazu wurden die entscheidenden zehn Sekunden vor dem Schlag in über 1000 einzelne Bilder zerlegt, um jede Bewegung nachzuzeichnen. Und die Detailfotos zeigten, dass Juri zu keiner Zeit aggressiv oder gewalttätig geworden ist. Unglaubwürdig schien auch die Polizeiaussage, dem Jungen seien innerhalb dieser zehn Sekunden mehrfach Platzverweise erteilt und ihm die Verhaftung erklärt worden. Juri war wütend und fuchtelte mit den Händen. Mehr nicht. Das rechtfertige nicht den Fausthieb, konstatierte die Richterin und verurteilte den Polizisten zu einer Geldstrafe von 1500 Euro. Sein prügelnder Kollege war vor 20 Tagen zu einer Geldstrafe von 4800 Euro verurteilt worden. Hier sah es das Gericht als erwiesen an, dass das Opfer von hinten in den Rücken geschlagen wurde.
Was auffällt: Beide Beamte gehören zum »Beweissicherungs- und Festnahmezug«. Sie sind keine jungen, unerfahrenen Polizisten, die von der Situation überfordert waren. Hier wollten die Herren des Gewaltmonopols ihren Frust ablassen gegen »amtsbekannte Gewalttäter Links« (Polizeiaussage). Und schlugen zu.
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