Bezauberndes Zwischenreich
»Tactics of Invisibility« präsentiert zeitgenössische Kunst aus der Türkei
Geister hinterlassen ihre Spuren im Projektraum Tanas. Diese Geister bewegen sich mal zwischen Orient und Okzident, mal »nur« zwischen Wien und Berlin – manches Mal penetrieren sie mit verblüffender Leichtigkeit aber auch die Grenze zwischen Leben und Tod. Die unter dem Titel »Tactics of Invisibility« (Taktiken der Unsichtbarkeit) vorgenommene Zusammenführung von 14 Positionen zeitgenössischer türkischer Kunst lässt mit bewundernswerter Souveränität all die Diskussionen um gutes oder schlechtes Türkischsein, um soziale Anpassung, romantisierenden Orientalismus und Islamgefahrbeschwörungen hinter sich, die sich quasi automatisch ausbreiten, wenn im hiesigen medialen Raum das Wort »türkisch« auftaucht.
Von den Klischees des Türkischseins wegdriften wollten die Kuratoren der Ausstellung Daniela Zyman und Emre Baykal. Das ist ihnen dank einiger exemplarischer Arbeiten auch sehr gut gelungen. Bezaubernd ist die Leichtigkeit, mit der Widersprüche und Schmerzen aufgenommen und – ohne sie zu versüßen – in ein anderes poetisches Stadium überführt werden.
Empfangen wird man von den Projektionen von sechs Menschen ungefähr in Lebensgröße, die in ruhiger Stimme von ihrem eigenem Tod berichten. Dies befremdet. Denn die dem äußeren Anschein nach noch sehr lebendigen Personen erzählen ungerührt von Explosionen und sie überrollt habenden Zügen. Wie ein Mantra taucht in ihren Berichten der Satz »Dann war ich tot« auf. Dennoch geht es weiter. Ein junger Bursche verrät, dass die, die ihn einmal gekannt hätten, ihm versicherten, er hätte für die Schule niemals lernen müssen. So wie er das sagt, macht er den Eindruck, sich selbst nur an schwerfälliges, mühsames und nicht sonderlich erfolgreiches Lernen zu erinnern. Das Rätsel wird gelöst, als er darauf hinweist, dass man mal in ein reiches und mal in ein armes Milieu hineingeboren werde.
Dies erklärt noch nicht in allerletzter Konsequenz unterschiedliche Lernwege; es macht doch aber klar, dass all diese Menschen von Seelenwanderungen, von verschiedenen gelebten Leben berichten.
Der Videokünstler Kutlug Ataman hat diese Gespräche im Süden der Türkei nahe der syrischen Grenze aufgenommen. Dort sei, so verrät der Katalog, die Auffassung verbreitet, dass vor allem Menschen, deren früheres Leben gewaltsam oder zumindest weit vor dem natürlichen Ablauf der Lebenszeit endete, sich in ihrer gegenwärtigen Inkarnation an dieses Leben gut erinnern können.
Ganz andere Geister fängt Atamans prominente Kollegin Ayse Erkmen ein. In dem Wiener Palast, in dem sie ihre Installation aus weißen Wänden, weißen Lampen und weißen Lautsprechern, aus denen Beethovens Kanon »Glück, Glück zum neuen Jahr« herausquillt, ursprünglich entwickelt hat, soll sich der Komponist in die damalige Hausherrin verliebt haben.
Düster dagegen muten die knapp zwei Dutzend schwarzen Kinderkleider an, die Esra Ersen im Nebenraum platziert hat. Eine Woche lang ließ sie eine österreichische Schulklasse diese türkischen Schuluniformen tragen. Auf die Kleidungsstücke applizierte Tagebucheintragungen der Kinder geben Kunde von der anfänglichen Befremdung, aber auch der einsetzenden Gewöhnung an diese Tracht.
Inci Eviner wiederum bearbeitet einen zwei Jahrhunderte alten Kupferstich. Der mehrere Jahre am Hof von Konstantinopel als Künstler und Architekt tätig gewesene Anton Ignaz Melling brachte das Bild eines mehrstöckigen Harems mit nach Europa. Evinder behielt die Architektur und das Figurenensemble bei. In einer Videosequenz lässt sie das Personal kurze und sehr mechanische Bewegungssequenzen ausführen, die den Eindruck erwecken, Betrachter einer fordistisch durchrationalisierten und mit orientalischem Dekor versehenen Menschenfabrik zu sein.
In ihrem stärksten Moment lässt diese Gruppenausstellung ein bezauberndes, mitunter auch beängstigendes Zwischenreich entstehen, dem man sich gleichwohl nur ungern entziehen mag.
Nicht immer freilich wird diese künstlerische Höhe erreicht. Nasan Turs permanente Übermalungen von Graffittis, die sich zu einer monochromen Fläche verdichten, sind beispielsweise etwas banal und Nilbar Güres' performative Erkundungen der Frauenrolle zwischen Herd und Nachtklub arg plakativ. Dennoch wartet Tanas erneut mit einer kompositorisch überzeugenden Ausstellung auf, die nicht nur zum Betrachten, sondern zum Eintauchen, Verweilen und Versinken einlädt.
Tanas, Heidestr. 50, bis 15.11., Di. bis Sa. von 11 bis 18 Uhr
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