Laos – Leben mit den Bombies
Streumunition – das tödliche Erbe des Vietnam-Krieges ist langlebig
Die Landschaft ist spektakulär. Hohe, schwarz-graue, mehr als 1200 Meter hohe Felswände ragen senkrecht in den blauen Himmel. Das Tal zwischen den Bergwänden erstrahlt in einem satten Grün. Reisfelder wechseln sich ab mit Wäldern, Plantagen und Bambushecken. In den Dörfern tummeln sich zwischen Holzhäusern Hühner, Enten, Schweine, Ziegen, Kühe, Hunde und spielende Kinder.
Die Bauern auf den Feldern tragen zum Schutz vor der Sonne konische Bambushüte und Anoraks wegen des kühlen Winds, der um diese Jahreszeit vom etwa 90 Kilometer entfernten Golf von Tonkin durch die 500 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Täler von Zentrallaos bläst.
Die asiatische Bilderbuchidylle im ländlichen Khamkeut ist trügerisch. Der Distrikt ist einer der ärmsten in der Provinz Bolikhamxay, die wiederum zu den ärmsten von Laos zählt. Was die Idylle aber noch mehr zerstört, ist das explosive Erbe des Vietnamkriegs, das in den Feldern und Wäldern verborgen ist: Bombies. Bombies sind tennisballgroße, mit Sprengstoff und vielen hundert kleinen Kügelchen gefüllte Bömbchen. Die wurden in sogenannten Mutterbomben von den gefürchteten B-52-Bombern der US-Amerikaner abgeworfen. Noch in der Luft öffneten sich die Streubomben und ließen ihre tödliche Fracht auf Menschen und Dörfer regnen. Je nach Typ konnte eine solche Streubombe bis zu 670 solcher Bombies enthalten.
Durch das Tal schlängelt sich die heute gut ausgebaute Straße 8 A. Während des Kriegs war sie ein Teil des legendären Ho-Chi-Minh- Pfads, über den die Nordvietnamesen die Truppen im Süden mit Nachschub versorgten. Die Truppen der einheimischen Befreiungsbewegung Pathet Lao wie auch die Vietnams hatten in den Höhlen der malerischen Berge Lazarette eingerichtet. Andere Höhlen dienten als Truppenstützpunkte der Befreiungskämpfer, weshalb die Dörfer in Khamkeut besonders brutal bombardiert wurden.
Jürgen Hinderlich weist auf eine Fläche mit Wiesen und Reisfeldern und sagt: »Das sind gut 20 Hektar, und darauf wurden mehr als 33 000 Bombies abgeworfen.« Hinderlich ist ein Spezialist für Kampfmittelräumung, der für die deutsche Nichtregierungsorganisation Solidaritätsdienst International (SODI) seit einem Jahr in Khamkeut im Einsatz ist. Er weiß genau, wie viele Bomben in der Region abgeworfen worden waren. »Die Amerikaner haben vor einiger Zeit Laos ihre Bombendatenbank zur Verfügung gestellt«, sagt der 50-Jährige aus dem östlichen Brandenburg. Diese Daten, kombiniert mit Google-Earth-Karten und modernen GPS-Systemen, geben die genauen Lagen der Abwurfstellen an.
Insgesamt gingen während des Vietnamkriegs über Laos 2,1 Millionen Bomben nieder. Das waren mehr, als während des Zweiten Weltkriegs von den US-Amerikanern und Briten über Europa abgeworfen wurden. Hinderlich nennt einen anderen Vergleich: »Das entsprach einer Tonne Bomben pro Kopf der damals gut zwei Millionen Laoten.« Als Faustregel gilt unter Bombenexperten eine Blindgängerquote von 30 Prozent, die auch mehr als 30 Jahre nach Kriegsende in Laos eine große Gefahr für Leib und Leben sind.
Somphon steht in ihrem Reisfeld, das noch nicht von Streubomben geräumt ist. Sie weiß, dass ihre Arbeit gefährlich ist. »Was soll ich machen? Der Reis muss geerntet werden.« Die Bombies liegen im Schnitt 25 Zentimeter unter der Erde. Besonders gefährlich ist daher die Arbeit der Bauern, wenn sie ihre Felder pflügen und für die neue Reissaat vorbereiten. »Ich habe dann immer große Angst«, gibt Somphon zu.
Etwa 100 Meter von Somphon entfernt räumt Hinderlich an diesem Nachmittag mit seinem Team Bomben. Auf abgesteckten Bahnen suchen sie mit Detektoren das Gelände ab. Piepst es, wird die Stelle mit einem gelben Fähnchen markiert, dann mit einem Spaten Schicht für Schicht die rotbraune Erde abgetragen, bis gefunden wird, was den Detektor hat reagieren lassen. Das können Bombensplitter sein, Patronenhülsen, Bajonettklingen oder eben Blindgänger, wie die sechs Bombies vom Typ BLU 26, die an diesem Nachmittag von Hinderlich gesprengt werden. Gut 105 Hektar hat SODI in diesem Jahr bisher geräumt, 140 sollen es 2011 werden.
Die Arbeiter der Räumungsteams sind alle aus den Dörfern in Khamkeut. Darunter sind auch Frauen wie Shanpeng. Sie hat sich nicht nur des willkommenen Zusatzeinkommens wegen als Helferin bei der Bombieräumung verdingt. Sie will auch einen Beitrag für eine sichere Zukunft der Kinder leisten. »Wir mussten als Kinder immer aufpassen, wo wir spielten«, erzählt die 19-Jährige. Kinder werden trotz Aufklärung durch Eltern, Lehrer und Hilfsorganisationen am häufigsten Opfer der Bombies, werden verstümmelt oder verlieren gar ihr Leben. Ob auf dem Reisfeld oder als Sammler von Kriegsschrott, den sie an Recyclingfirmen verkaufen. »Wir können den Menschen den Sinn für die Gefahr schärfen und ihnen risikominimierende Arbeitstechniken beibringen. Aber sie können ja nicht ihre Arbeit einstellen«, sagt Phounsawath Thavisouk, der im Dienst von SODI als »Minenrisikoaufklärer« arbeitet.
SODI versteht den Einsatz in Laos als humanitäre Hilfe, in die Bombenräumung und Entwicklungsprojekte wie der Bau von Schulen integriert sind. »In Absprache mit den Menschen und den Bürgermeistern der Dörfer räumen wir nur Nutzflächen«, erklärt Siegfried Block, ein ehemaliger DDR-Diplomat, der in Laos die vom Auswärtigen Amt und vom Entwicklungshilfeministerium finanzierte und auf fünf Jahre angelegte SODI-Mission leitet. »Auf den geräumten Flächen kann wieder gefahrlos Landwirtschaft betrieben werden.«
Im Dorf Nadeua sind die Bombies geräumt, und im Januar beginnt SODI auf Wunsch der Dorfbewohner mit dem Bau eines Wasserversorgungssystems. Die charmante, aber auch resolute Kham Keo sagt: »In der Trockenzeit versiegen die Brunnen. Wir können nichts anbauen. Wasser für das Nötigste müssen wir zu Fuß aus einem vier Kilometer entfernten Bach holen.« Als stellvertretende Bürgermeisterin ist die 30-jährige Mutter von zwei Kindern auch zuständig für die Verteilung der geräumten Nutzflächen unter den Dorfbewohnern. Arme Familien sollen dabei an erster Stelle stehen. Aber auch Familien, die Goldminen und Dämmen weichen mussten, wird von den Behörden Land zugeteilt. »Bei uns werden Familien angesiedelt, die durch den Damm Nam Theun 2 ihr Land verloren haben«, erläutert Kham Keo.
So trifft sich die Kriegsgeschichte von Laos mit dem Laos des 21. Jahrhunderts, das »zur Batterie Asiens« werden will. Mit Hilfe von Weltbank, Asiatischer Entwicklungsbank, von asiatischen und westlichen Geberländern sowie Investoren werden in den zahlreichen Flüssen des gebirgigen Laos Dämme für Wasserkraftwerke gebaut, die Strom produzieren für Thailand, Vietnam, China und Kambodscha. Die Wasserkraftwerke sind ein Milliardengeschäft für Laos, aber eines, das auch erhebliche Umweltschäden und soziale Verwerfungen verursacht.
Boun Sayavong ist ein Opfer der Streubomben. Beim Graben nach Grillen, die unter den Laoten als Leckerbissen gelten, hat ihm ein Bombie mit sechs Jahren die rechte Hand abgerissen und das rechte Auge zerstört. In dieser Woche nimmt der 22-Jährige mit SODI an der ersten Konferenz der Vertragsstaaten der Konvention gegen Streubomben in Vientiane teil, die im August in Kraft trat. Er will auf der Konferenz dafür werben, dass alle Länder der Welt den Vertrag zur Ächtung der Streubomben unterzeichnen.
Die Menschen in Khamkeut glauben an Buddha, aber auch an Geister. Ein verkrüppelter Mensch gilt ihnen im wahrsten Wortsinne als »von allen guten Geistern verlassen«, den man möglichst meiden muss. Umso glücklicher ist Boun, eine Frau gefunden zu haben, die ihn trotz seiner Behinderung geheiratet hat. Ende des Jahres wird Boun Vater. So wird sein Plädoyer in Vientiane für eine Ächtung von Streubomben und Kriegen auch Plädoyer für eine friedliche Zukunft für sein Kind in Khamkeut.
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