Jenseits von Moskau
Journalisten in der russischen Provinz bewegen sich auf einem schmalen Grat
Alexander Lapin hat es sich in einem Sessel der Hotel-Lobby des Westin Grand Berlin bequem gemacht. Der 58-jährige Russe ist quasi Medienzar im südöstlich von Moskau gelegenen Gebiet Woronesh. Seite Vita ähnelt der fast aller neurussischen Oligarchen: gutes Studium – in seinem Fall Journalistik – und beim Zerfall des Sowjetstaates ein glückliches (und wohl auch starkes) Händchen beim Ergreifen der Gelegenheiten, die sich während der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals so boten. »Wir haben doch alle Marxismus studiert«, meint Lapin, »sehr nützlich im Kapitalismus.« Kein Wunder also, dass er vom Kasachstan-Korrespondenten der Jugendzeitung »Komsomolskaja Prawda« in nur 15 Jahren zu einem Medienmogul mutiert ist. Nachdem er spürte, wie gefährlich es ist, sich mit den Mächtigen anzulegen – wegen Morddrohungen floh er 1992 aus Almaty nach Moskau –, wechselte er die Seite. Frei nach Brecht: Besser einen Verlag gründen als ihm zu dienen.
Bald schien Lapin auch die russische Hauptstadt nicht geheuer. Also zog er 2003 nach Woronesh. Hier besitzt der rührige Unternehmer inzwischen das Verlagshaus »Freie Presse« mit 20 Zeitungen und sechs Zeitschriften. Druck und Vertrieb – alles unter seiner Regie. Dazu noch ein regionaler Fernsehkanal. »Ich bin unabhängig, kann machen, was mir gefällt«, erzählt der Verleger. Verständlich. Denn oft werden unbequeme Zeitungen in Russland durch willkürlich erhöhte Vertriebskosten kaputt gemacht. Trotzdem ist es besser, die politisch Mächtigen nicht allzu sehr zu reizen. Pressefreiheit ist in Russland eine Gratwanderung. Und selbst wenn – wie bei Lapin – das gesamte Redaktions-, Produktions- und Vertriebssystem in einer Hand liegt, lauern Steuerfahndung oder der Staatsanwalt. Schließlich gibt es genügend Gesetze, beispielsweise gegen »Aufruf zu extremistischen Handlungen« oder solche wie das neue Gesetz, das es dem KGB-Nachfolger FSB erlaubt, allein auf Verdacht offizielle Verwarnungen auszusprechen. Auch Geldstrafen oder bis zu 15 Tage Haft drohen. Russische Journalisten der »Stiftung zur Verteidigung von Glasnost« dokumentieren regelmäßig im Internet auf einer »Landkarte der Öffentlichkeit« die Freiheit der Presse in den russischen Regionen. Woronesh ist da unter »verhältnismäßig unfreier Medientätigkeit« registriert.
»Ihr im Westen verlangt von uns immer Demokratie«, klagt Lapin. »Aber woher soll die denn kommen? Wir hatten immer nur verschiedene Arten von Zarismus, ob unter Nikolai, Lenin oder Stalin. Und inzwischen hat der russische Präsident mehr Macht, als sie je ein Zar hatte.«
Perm gilt mittlerweile als eine der liberalsten Städte in Russland, als Avantgarde für Kunst und Kultur. Nicht alltäglich ist es auch, dass eine Regionalregierung Bürgervereine beim Umbau eines ehemaligen Gulags zum Museum unterstützt. In Moskau findet man an repräsentativer Stelle bis heute kein Denkmal für die Opfer des Stalinterrors.
»Langsam beginnen wir, nicht nur unsere Siege zu feiern, sondern auch unsere schmerzliche Vergangenheit zu begreifen«, sagt Natalia Barentin, die mich auf dem Weg ins Lager Perm 36 begleitet. Hier schufteten bis 1987 vor allem Dissidenten – Dichter und auch Journalisten – in einem Sägewerk. Viele, zum Beispiel der ukrainische Poet Wassyl Stus, haben das nicht überlebt. Die Presse habe es schwer, meint Natalja Barentin. »Es wird heute vor allem im Fernsehen und in Internet-Blogs viel und kritisch diskutiert.«
Natürlich geht auch dabei nicht alles reibungslos. Als der bekannte Permer Bürgerrechtler und Historiker Igor Awerkijew vor einiger Zeit unter dem Titel »Wenn wir den Kaukasus verlassen, werden wir freier« die Tschetschenien-Politik kritisierte, sah die Staatsanwaltschaft das als »Anzeichen eines Aufrufs zu extremistischem Handeln«.
In den letzten Wochen wurde besonders über den Gouverneur des Gebiets Perm spekuliert. »Tschirkow will man ein Verfahren anhängen«, titelte die Wochenzeitung »Nowosti Prikamja«. Der ehemalige KGB-Offizier Oleg Tschirkow, 2005 von Wladimir Putin als Gouverneur des Gebiets eingesetzt, ist nur einer von drei Kandidaten des neuen Präsidenten Dmitri Medwedjew. In Perm fürchtet man, dass sich ihr Gouverneur zu weit aus dem Fenster gelehnt haben könnte. Zum Beispiel mit der Unterstützung einiger Bürgervereine. Dem Gouverneur, der das eigenverantwortliche Handeln seiner Bürger schätzt, wirft man nun Vetternwirtschaft vor. Ob zu Recht oder nicht. Es ist eine übliche Methode, auf diese Art unbequeme Zeitgenossen kalt zu stellen.
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