»Sie wollen richtig aussieben«
Demokratiepreis-Eklat in Sachsen: Pirnaer Verein wollte sich nicht disziplinieren lassen
10 000 Euro sind viel Geld für einen Verein, der 2011 wohl kein Fördergeld erhält. Dafür hätte ein Kleinbus gekauft werden können, nachdem der alte den Geist aufgegeben hat. Es hätte ein Büro gemietet oder ein Comic über den Kampf junger Leute gegen Nazis neu aufgelegt werden können. »Vielleicht hätten wir auch einen neuen Comic über den Unsinn der Extremismus-Theorie gemacht«, sagt Lutz Richter vom Alternativen Kultur- und Bildungszentrum Pirna (AkuBIZ). Aber der Verein verzichtet auf das Geld, aus freien Stücken. Man wolle sich, so Richter, »nicht disziplinieren lassen«.
Als Vorspiel zu derlei Disziplinierung verstand man beim AkuBIZ die Extremismus-Klausel, die der Verein unterschreiben musste, bevor er am Dienstag den Sächsischen Demokratiepreis in Empfang hätte nehmen können. Die Ehrung wird seit 2007 von vier privaten Stiftungen übergeben. Sachsens Ministerpräsident hat die Schirmherrschaft inne. Daraus leitet die Regierung offenbar das Recht ab, Einfluss auf die Preisvergabe ausüben zu können.
Als klar war, dass von den zehn Nominierten ausgerechnet das AkuBIZ den Hauptpreis erhalten soll, habe das Innenministerium die Jury zu einer Korrektur zu drängen versucht, heißt es. Als man auf der Wahl beharrte, wurde die Akzeptanz der Extremismus-Klausel zur Bedingung für die Ehrung gemacht. Mit deren erstem Teil, also der Erklärung, dass der Verein eine »dem Grundgesetz förderliche Arbeit gewährleiste«, hätte man beim AkuBIZ kaum Probleme gehabt. Die 2001 gegründete Initiative, die derzeit ein Dutzend Mitglieder hat, klärt mit Ausstellungen über die Gefahr durch braune Ideologien auf, beteiligt sich an internationalen Jugendcamps, richtet ein »antirassistisches Fußballturnier« aus und organisiert Veranstaltungen mit der jüdischen Gemeinde – alles Beiträge, um Zivilgesellschaft und Meinungsvielfalt in der als rechte Hochburg verrufenen Sächsischen Schweiz zu erhalten und die Demokratie zu kräftigen.
Probleme mit demokratischem Denken sieht Richter eher bei CDU-Politikern wie Innenminister Markus Ulbig. Dieser hatte nach dem Eklat in Richtung AkuBIZ erklärt, es sei »eine Grenze überschritten, wenn Teile des Grundgesetzes und damit die Grundlagen unseres Gemeinwesens kritisiert werden«. Kritik gehöre zur Demokratie, sagt Richter. Durch eine »Ewigkeitsklausel« geschützt, ergänzt der grüne Landtagsabgeordnete Miro Jennerjahn, seien nur Artikel 1 und 20.
Den Ausschlag dafür, dass das AkuBIZ den Preis ausschlug, gab ein anderer Passus in der Klausel. Danach sollten sich Initiativen auch für die Grundgesetztreue der Projektpartner verbürgen und sie, auch mit Hilfe von Verfassungsschutz-Unterlagen, prüfen. So solle jeder »Anschein« vermieden werden, dass »extremistischen Strukturen durch Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet« werde. Die Forderung sei in mehrfacher Hinsicht problematisch, sagt Richter. Zur Prüfung aller Partner bei etwa 30 Veranstaltungen im Jahr sei man schon personell nicht in der Lage. Zudem sei unklar, wo die Grenze zu unerlaubten Kontakten überschritten werde: bei der Kooperation mit einem Antifa-Infoladen, mit der NS-Opferorganisation VVN-BdA, die dem Verfassungsschutz in einigen Ländern als extremistisch gilt, oder der Unterstützung für den Aufruf zur Blockade der Nazi-Demonstration am 13. Februar in Dresden? Die Aufforderung, einen Antifa-Link von der Homepage zu entfernen, gab es bereits. »Wir müssten immer damit rechnen, dass man das Preisgeld zurückfordert«, sagt Richter, der auch fürchtet, dem Gutdünken des Ministeriums ausgeliefert zu sein: Ob ein Anschein erweckt wird oder nicht, ist schließlich Auslegungssache.
Kern des Problems, betont Richter, ist das Festhalten an einem Extremismus-Begriff, den man beim AkuBIZ für verfehlt hält – auch im Umgang etwa mit der NPD. Von dieser vertretene »Ideologien der Ungleichheit« fänden schließlich nicht nur am Rand der Gesellschaft Anklang, wie der Begriff »Rechtsextremismus« nahelegt, sondern, Thilo Sarrazin hat es bewiesen, bis weit in deren Mitte. Das AkuBIZ hat daher den Appell einer Leipziger Initiative unterzeichnet, die sich »gegen jeden Extremismusbegriff« wendet.
Eines hält man beim AkuBIZ für sicher: In Gewissensnöte, wie sie der Verein vor der Preisvergabe erlebte, werden künftig viele Initiativen geraten. Schließlich soll eine identische Klausel ab Anfang 2011 bei der Vergabe aller staatlichen Fördergelder für Demokratieprojekte angewendet werden. Unliebsame und kritische Initiativen würden dann entweder »diszipliniert und gegängelt«, sagt Richter, oder sie werden von der Mittelvergabe ausgeschlossen: »Die werden richtig aussieben.« Der Eklat in der Frauenkirche hat das ins Bewusstsein gerückt.
Drei grüne Landtagsabgeordnete haben derweil zu Spenden für das AkuBIZ aufgerufen – und die ersten 1000 Euro bereits gesammelt.
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