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Streitfrage: Soll die Präimplantationsdiagnostik erlaubt werden?

  • Lesedauer: 6 Min.
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist eine Methode, bei der im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf genetische Defekte untersucht werden. In Deutschland war nach Ansicht vieler Juristen die PID bisher durch das 1990 erlassene Embryonenschutzgesetz verboten. Der Bundesgerichtshof verwarf vor rund drei Monaten diese Rechtsauffassung und stellte klar, dass die Auswahl künstlich befruchteter Eizellen bei Paaren mit einer Veranlagung zu schweren Erbschäden erlaubt ist. In der schwarz-gelben Regierungskoalition wird derzeit heftig über eine zukünftige gesetzliche Regelung diskutiert. Vor allem in den Unionsparteien wird immer wieder ein Verbot der PID gefordert. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt diese Forderung. Es debattieren: Prof. Dr. Klaus Diedrich, Klinikdirektor, und Dr. Katrin Grüber, Institutsleiterin.

Eine unnötige Ausweitung ist nicht erkennbar

Von Klaus Diedrich

Durch die Präimplantationsdiagnostik (PID) bietet sich die Möglichkeit bei Paaren mit schweren genetisch determinierten Erkrankungen bereits vor Etablierung einer Schwangerschaft betroffene Embryonen zu diagnostizieren und von eben dieser Schwangerschaft auszuschließen. Dadurch kann ein belastender Schwangerschaftsabbruch verhindert werden. Bisher wurde bei Vorliegen einer Erbkrankheit in der Familie die pränatale Diagnostik angeboten, die die Möglichkeit gibt, zum Beispiel durch Fruchtwasseruntersuchung, diese Erbkrankheit in der Schwangerschaft auszuschließen. Bei einem ungünstigen Ergebnis der pränatalen Diagnostik steht das Paar vor der schwierigen Frage, wie sie damit umgehen und ob sie über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken soll. Durch die PID kann ein belastender Schwangerschaftsabbruch verhindert werden. Die Schwangerschaft auf Probe (pränatale Diagnostik) kann abgelöst werden durch die Zeugung auf Probe (PID).

Nachdem viele Jahre sehr unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Zulässigkeit der PID aufeinander prallten und Ärzte aus Angst vor Strafverfolgung daher diese Methode nicht anwendeten, hat das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) jetzt für Rechtssicherheit für Ärzte und Betroffene gesorgt. Die Präimplantationsdiagnostik ist in Deutschland rechtlich möglich geworden.

Die PID ist außerhalb Deutschlands und Österreichs überall möglich. Obwohl weltweit pro Jahr mehr als 600 000 Zyklen zur In-vitro-Fertilisation durchgeführt werden, wurde im Jahr 2006 nur

in 1876 Fällen eine Präimplantationsdiagnostik durchgeführt. Dies zeigt, dass die Indikation zur PID in Ländern, wo sie zulässig ist, sehr streng gestellt wird. Die Sorge über eine unnötige Ausweitung dieser PID ist deshalb nicht erkennbar und unnötig.

Die PID sollte lediglich zum Ausschluss einer nicht therapierbaren schweren Erbkrankheit eingesetzt werden. Dies sollte durch eine Ethikkommission der Bundesärztekammer geprüft werden. Auch die Polkörperdiagnostik (genetische Untersuchung einer entnommenen Eizelle) ist hierfür bei »Ein-Gen-Krankheiten« geeignet. Studien haben gezeigt, dass das sogenannte Aneuploidiescreening (Überprüfung künstlicher Embryonen auf spezielle Chromosomenveränderungen) nicht die erhofften Ergebnisse einer Verbesserung der Schwangerschaftsrate und Reduzierung der Abortrate bei älteren Patientinnen brachte. Deshalb sollte dieses Screening am Embryo und auch an der Eizelle mit Polkörperdiagnostik heute nicht mehr außerhalb von Studien angeboten werden.

Zwar ist durch das Urteil des Bundesgerichtshofes die PID rechtlich in Deutschland möglich geworden, jedoch ist es für die beteiligten Ärzte wichtig, dass dieses auch gesetzlich positiv geregelt wird. Sinnvoll wäre es, das überalterte Embryonenschutzgesetz durch ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz unter Einbeziehung des elektiven Single-Embryo-Transfers (Übertragung einzelner ausgewählter Embryonen) und der Eizellspende zu diskutieren und zu verabschieden. Es ist zu hoffen, dass durch ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz endlich der Wertungswiderspruch zwischen dem Verbot einer PID und der Durchführung der Pränataldiagnostik mit möglichem Schwangerschaftsabbruch aufgehoben wird. Es kann nicht sein, dass ein Embryo im Reagenzglas um jeden Preis geschützt wird, aber wenn er sich in der Gebärmutter eingepflanzt hat und zu einer Schwangerschaft geführt hat, nach ungünstigem Ergebnis in der Pränataldiagnostik abgetrieben werden kann.

Prof. Dr. Klaus Diedrich, Jahrgang 1946, ist Direktor der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Lübeck. Er war von 2002 bis 2004 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Keine Garantie für ein gesundes Kind

Von Katrin Grüber

Bis vor kurzem gab es keine Debatte um eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland. Auch als das Gendiagnostikgesetz im Jahr 2009 verabschiedet wurde, wurde die PID nicht thematisiert. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass ein relativ breiter Konsens herrschte, sie sei in Deutschland verboten. Dies hat sich durch das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes vom 6. Juli 2010 verändert. Der Gesetzgeber ist nun gefordert, eine rechtliche Regelung zu finden. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Er lässt sie begrenzt zu – oder er verankert das Verbot. Ich möchte im Folgenden begründen, warum ich die zweite Alternative für notwendig halte.

Mir ist bewusst, dass diese Technologie für einzelne Paare mit großen Hoffnungen verbunden ist. Vielleicht würde die Debatte aber anders verlaufen, wenn deutlich würde, dass die Entscheidung eines Paares für PID keineswegs mit der Garantie für ein gesundes Kind ohne Behinderung verbunden ist. Diese gibt es grundsätzlich nicht und auch nicht bei der PID. Es gibt auch nicht die Garantie für ein Kind. Die Hoffnung vieler Paare wird nach vergeblichen Versuchen enttäuscht, denn die Anwendung der Technik ist nur bei einem Teil erfolgreich.

Anders als oft aufgeführt, ist die Behauptung, die Präimplantationsdiagnostik verhindere die Pränataldiagnostik, nicht richtig. Die Pränataldiagnostik wird regelmäßig nach erfolgter Präimplantationsdiagnostik angewandt, möglicherweise sogar besonders intensiv. Im Übrigen ist der theologischen Ethikerin Hille Haker zuzustimmen, die darauf verweist, dass das Argument, durch die PID werde der Zeitpunkt der »Verwerfung« eines Embryos nach vorne verlagert, nicht dem deutschen Rechtsverständnis entspricht. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es einen Unterschied zwischen den beiden Technologien gibt, denn nur bei der PID werden Embryonen ausgewählt – nach bestimmten Kriterien. Die Anwendung der Pränataldiagnostik rechtfertigt also nicht die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik.

Viele, die für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik plädieren, begründen dies mit der Vermeidung von Leid, was, so fügen sie hinzu, doch ein selbstverständlicher Wunsch sei. Für sie ist ein Leben mit Behinderung automatisch mit Leiden verbunden. Nun gibt es Menschen, die tatsächlich an ihrer Beeinträchtigung leiden. Andere aber nicht. Die selbstverständliche Gleichsetzung von Behinderung und Leiden ist ein Vorurteil und hat Folgen, denn sie steht einer kulturellen Anerkennung von Menschen mit Behinderung im Weg.

Vor etwa zwei Jahren hat der Deutsche Bundestag einstimmig dem Gesetz zur UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zugestimmt. Mit der Ratifizierung hat sich Deutschland dazu verpflichtet, in der gesamten Gesellschaft das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern; das Bewusstsein für die Fähigkeiten und den Beitrag von Menschen mit Behinderungen zu fördern und Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen zu bekämpfen. Zu diesen Vorurteilen gehört die enge Verbindung von Behinderung und Leid. Eine Zulassung der PID widerspräche auch aus diesem Grund der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die PID ist mit der Abwertung von Leben mit Behinderung und damit von Menschen mit Behinderung verbunden.

Wenn der Bundestag sich für ein Verbot entscheidet, dann ist es viel einfacher zu vermitteln, dass Menschen mit Behinderung in dieser Gesellschaft erwünscht sind und selbstverständlich dazugehören – unabhängig von der Schwere ihrer Beeinträchtigung. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung des Ziels der Konvention, dass sich Menschen mit Behinderung ihrer eigenen Würde bewusst werden und dass die Gesellschaft Menschen mit Behinderung als Quelle möglicher kultureller Bereicherung für die Gesellschaft begreift.

Wie soll dies aber bei einer Zulassung der PID erreicht werden? Um diesen Widerspruch deutlich zu machen, muss man sich nur vorstellen, dass die Bundesregierung im Frühjahr einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention verabschiedet, der Maßnahmen zum Abbau von Vorurteilen enthält und dass gleichzeitig der Bundestag darüber debattiert, welche Behinderung so schwerwiegend sei, dass bei ihr die Anwendung einer PID gerechtfertigt wäre.

Dr. Katrin Grüber, 1957 geboren, ist Leiterin des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW) in Berlin. Von 1990 bis 2000 war sie für die Grünen Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen.
Prof. Dr. Klaus Diedrich
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Dr. Katrin Grüber
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