Der Musterschüler wurde zum Klassendeppen
Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Griechenland und Irland
Die aktuelle Entwicklung in Irland weist erstaunliche Parallelen zu jener in Griechenland vor einem halben Jahr auf. Griechenland geriet damals in eine fiese Abwärtsspirale aus Bonitäts-Abwertungen, Zinserhöhungen von Staatsanleihen, spekulativen Attacken und immer weiteren Kürzungsmaßnahmen, mit denen das Haushaltsdefizit bekämpft werden sollte. Ganz ähnlich sieht es heute in Irland aus.
Noch erkenntnisbringender als diese Gemeinsamkeiten sind jedoch die Unterschiede zwischen den beiden Ländern. Als die Griechenland-Krise den öffentlichen Diskurs bestimmte, wurde erstaunlich erfolgreich der Eindruck erweckt, dass die Ursachen im Inland wurzeln. In einer unglaublichen, rücksichtslosen Medienkampagne wurden die GriechInnen als faules, korruptes und verlogenes Volk verunglimpft. Diese Eigenschaften seien es gewesen, die das Land an den Rand des Bankrotts trieben. Von der Rolle der deutschen Exportstrategie war ebenso wenig die Rede wie von den Folgen der Finanzmarktkrise und unmittelbaren spekulativen Attacken gegen griechische Staatsanleihen.
In Irland dürfte eine solche Argumentation kaum funktionieren. Hier wäre die Absurdität zu offensichtlich, denn es geht um den ehemaligen Musterschüler der EU. Bis 2007 überzeugte die irische Wirtschaft in jeder Hinsicht: mit Wachstumsraten von rund sechs Prozent, einer Arbeitslosenquote von rund vier Prozent und stets positiven Außenhandelsbilanzen. Die Maastricht-Kriterien wurden Jahr für Jahr mit Leichtigkeit erfüllt. Irland war also alles andere als ein Krisenkandidat. Doch was nutzt all das, wenn plötzlich eine Bank nach der anderen kollabiert und die Regierung rettet und rettet und rettet? Die in Irland prognostizierten Bankenrettungskosten von 90 Milliarden Euro sind gemessen an der Einwohnerzahl Weltrekord. Der Musterschüler wurde binnen kürzester Zeit zum Klassendeppen. Für 2010 wird eine Neuverschuldung von astronomischen 32 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwartet.
Griechenland hingegen hatte seit Jahren Probleme mit Außenhandelsdefiziten, Staatsschulden und Arbeitslosigkeit. Die Ausgangslagen waren also höchst unterschiedlich, umso erstaunlicher sind die Parallelen in der Krise. Die Spirale aus Abwertung, Zinserhöhung und Spekulation wütet nun auch in Irland. Auch die Krisenpolitik ist quasi dieselbe: Einschnitte in den Sozialstaat, Kürzungen im öffentlichen Dienst und Verbrauchssteuererhöhungen.
Dass diese Politik die Krise nicht löst, sondern verschärft, hätte man allerdings aus Griechenland lernen können. Nach sechs Monaten IWF/EU-Diktat sind dort die Realeinkommen im Schnitt um 20 Prozent gesunken. Der entsprechende Nachfragerückgang zwang fast jedes fünfte Geschäft im Großraum Athen zum Schließen. Arbeitslosigkeit und Armut sind (von einem ohnehin hohen Niveau) rasant weiter gestiegen, die Steuereinnahmen blieben um mehrere Milliarden hinter den Erwartungen zurück. Dadurch wird der Schuldenabbau geringer ausfallen als geplant, was dann nach IWF-Logik in einer noch radikaleren Kürzungspolitik münden dürfte.
Was Irland wie auch Griechenland brauchen, sind keine weiteren Kürzungspakete, sondern solidarische Notfallkredite (zum Beispiel durch eine gemeinsame Euro-Anleihe) und eine Beteiligung von Banken und Vermögen an den Krisenkosten. Mittelfristig benötigen diese Länder vor allem einen Wandel in der deutschen Wirtschaftspolitik, damit die Ungleichgewichte innerhalb der Währungsunion abgebaut werden können, sowie strengere Finanzmarktregeln, die spekulative Attacken gegen Staaten unmöglich machen.
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