Slalom zwischen aufgerissenen Müllsäcken
Erschreckende Ergebnisse einer Inspektion der Europäischen Union in Neapel
In den vergangenen Tagen hat eine Delegation der Europäischen Union Neapel besucht. Man wollte überprüfen, ob die von Italien in Sachen Müll versprochenen Maßnahmen gegriffen haben und ob die EU ihre Hilfsgelder gut angelegt hat. Die Ergebnisse der Inspektion sind erschreckend.
Die EU-Kommissare sind entsetzt. Die Lage in Neapel ist verheerend und hat sich in den letzten zwei Jahren nicht gebessert. Genau wie bei ihrem letzten Besuch liegt der Abfall meterhoch auf den Straßen. Wenn Mütter ihre Kinder in die Schule bringen, nehmen sie die Kleinen auf dem Arm, weil der Slalom zwischen den aufgerissenen Müllsäcken gefährlich ist. Und sie drücken ihnen ein Tuch vor Mund und Nase, damit sie die aufsteigenden Dämpfe nicht einatmen müssen und den Gestank nicht so stark riechen. Viele Ladenbesitzer verbringen die ersten Stunden ihres Arbeitstages damit, die Wege zu ihren Geschäften frei zu schaufeln: Doch mehr, als den Dreck ein paar Meter weiter zu schaffen, können sie nicht tun. Ungeziefer sind die Normalität und streunende Hunde und Katzen wühlen in den Abfallbergen auf der Suche nach etwas zu futtern. Knapp 3000 Tonnen Müll liegen in den Straßen der Hafenstadt herum – im Umkreis von Neapel sind es 8000. Und fast jede Nacht zündet irgendjemand die Müllberge an, was hochgiftiges Dioxin freisetzt.
Dass hier die Experten von Seuchengefahr sprechen, ist nicht verwunderlich. Aber die größten gesundheitlichen Schäden müssen die Anwohner der völlig überfüllten Deponien fürchten. Keiner weiß genau, was hier für Müll abgeladen wird. Sicherlich Haushaltsmüll aus den Dörfern rund um den Vesuv, aber auch Sonder- und Giftmüll, der auch aus Norditalien seinen Weg nach Neapel findet. Firmen, die der organisierten Kriminalität nahe stehen, lassen sich von Fabriken und Krankenhäusern dafür bezahlen, dass sie den Müll entsorgen – und da ihre Preise weit unter denen der legalen Konkurrenz liegen, achtet niemand so genau darauf, ob die Entsorgung fachgerecht geschieht. Tatsächlich landet ein Großteil dieses Abfalls in den Deponien von Neapel – oder wird sogar auf irgendwelchen Feldern vergraben. Obst und Gemüse verdorren auf den Feldern, Lebensmittel sind verseucht und auch das Trinkwasser ist inzwischen nicht mehr einwandfrei.
Dies ist die Situation, die die EU-Inspektoren vorgefunden haben. Die über 150 Millionen Euro, die von der Union bisher für die Behebung des Müllproblems in Neapel ausgegeben wurden, sind irgendwo versackt. Notwendige und versprochene Maßnahmen wie die Förderung der Mülltrennung, die Erschließung neuer Deponien und der Bau von Verbrennungsanlagen wurden nicht ergriffen. Italien droht jetzt ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und eine hohe Geldstrafe.
Sicherlich erfordert das Abfallproblem in Neapel verschiedene Ansätze und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen (Zentralstaat, Region, Provinzen und Kommunen). Aber genau das fehlt: Jeder möchte über die Gelder verfügen, die immer wieder bereit gestellt werden, möchte seine eigene Klientel und vielleicht auch die organisierte Kriminalität bedienen. Ministerpräsident Silvio Berlusconi versucht dabei in der Öffentlichkeit das Bild zu vermitteln, dass er alles im Griff hat und eine Art Zauberstab für die Lösung besitzt. Allein in den letzten beiden Jahren hat er acht Mal medienwirksam erklärt, das Problem sei gelöst. Ein Gang durch Neapel reicht aus, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Die EU-Kommissare haben nun genau das getan.
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