Mord ohne Motiv

In der HALLE Tanzbühne verrätselt Toula Limnaios »secrets perdus«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Tote und viel Nebel bietet »secrets perdu«.
Eine Tote und viel Nebel bietet »secrets perdu«.

In ihrer neuen Produktion »secrets perdus« ist Toula Limnaios unter die Krimiautoren gegangen. Was man dazu braucht: Tote und viel Nebel. Beides liefert sie den Zuschauern in ihrem Spielort HALLE Tanzbühne. Von zwei Seiten kann man die Szene einsehen, doch man sieht fast nichts. Und Lichtdesigner Jan Langebartels tut auf Geheiß der Choreografin alles, dass es auch so bleibt.

Aus dem verwaberten Schummer schälen sich Gestalten heraus, mit der Taschenlampe leuchtet jemand ins Dunkel hinein. Die Frau im roten Mantel und der einzige Mann finden sich im Kuss, tanzen zur Musik eines Streichquartetts traumverloren nach vorn. Lange tun sie das, ein schönes Bild. Dann rollen sie auf dem Boden, vereinen sich im Coitus, verharren Bein zwischen Bein. Was wie Erschlaffen »danach« aussieht, bedeutet mehr. Aus dem alten Rundfunkempfänger tönt in Englisch: Ein totes Paar sei entdeckt und wohl erschossen, sie müssen kurz zuvor Sex gehabt haben. Mit einer Grubenlampe vor der Stirn zieht eine Frau wie ein Glühwürmchen ihre Bahn – gestisch etwas ausdeutend, auch das Schreiben einer Rechnung. Ein schönes altes Chanson weckt Paris-Erinnerungen. Was sich die restlichen 60 Minuten über ereignet, ist mehr als rätselhaft, scheint sich aber um die Aufklärung des Mordes zu drehen.

Die Toten werden umgeschichtet. Dabei ergeben sich mit den vier Tänzerinnen und dem einen Tänzer verschiedene Zweierposen, die erstarren und aus denen sich jeweils einer löst, ohne dass der andere seine Form aufgibt. So stehen, sekundenkurz, instabil sitzende, hockende, gebeugte Einzelplastiken im Dunkel des Raums. Wieder so ein schönes Bild.

Auch die Neue des Mannes entwischt ihm aus der Fassung. Mit über den Kopf gehaltenem Blitzlicht illuminiert jemand stroboskopartig die Bewegungen einer Fau, eine Collage aus Geräusch, Musik, Sprache begleitet. Das Radio meldet etwas von Verhör, Name, Adresse, als sei der Täter gefasst. Wirklich flüchtet sich eine Frau im grünen Kleid in eine Ecke und schabt sich am Mauerwerk wund wie an einer Gefängniswand. Sie stößt sich ab, fällt, die drei anderen Frauen auch, und als der Mann die Grüne wiederholt am Aufstehen hindert, doubeln die anderen das ebenfalls. Eine Frau fällt mehrfach auf den Mann als Reminiszenz an die Lage der Toten; die Grüne haucht Worte wie Spuren, Blut, Tatzeit, Waffe ins Mikrofon.

Dann wird sie von allen attackiert, gerät in Bedrängnis. Wieder tanzt ein Paar im Kuss, hinten hängt eine Frau am Strick an der Wand, zwei Frauen kämpfen sich mit hektisch fahrigen Bewegungen vor. Eine Frau legt mechanisch die Arme des Manns um sich, der will nicht recht und flüchtet in die Kerkerecke, während der Grünen in Wind und Frischnebel die Haare flattern. Das bringt sie aus der Balance, treibt sie zum Pulk in der Ecke.

Derweil die Frauen zucken, zappeln, rutschen, in rascher Ablösung stürzen, startet er ungerührt einen Spielzeughubschrauber. Eine Frau im langen Gelben und mit Grubenlampe geistert umher, andere folgen ihr, zwischen dem Paar findet Kampf statt. Das könnte zum Tatmotiv führen. Nochmals werden frühere Tanzmotive zitiert; am Ende rückt der Pulk langsam im Raum vorwärts, jemand beleuchtet das in augenschmerzend heftigem Geflacker.

Wie das manchmal im realen Krimi so ist: Nichts löst sich auf, die Choreografie und Ralf R. Ollertz’ Musik legen nur Fährten, geleiten die Tänzer wie das Publikum durch irreale Situationen, die an die irrlichternden Visionen des englischen Mystikers William Blake erinnern. Das lässt sich genießen.

26.-28.11., 2.-5.12., 20 Uhr, HALLE, Eberswalder Str. 10-11, Prenzlauer Berg, Tel.: 44 04 42 92, Infos unter www.halle-tanz-berlin.de

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