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Töricht Steinar
rbb-»Landschleicher« zeigte kommentarlos fragwürdigen Jugendklub in Simmersdorf bei Cottbus
Das ganze Dorf trifft sich auf dem Weihnachtsmarkt und ist stolz auf sein Fest. Doch vor allem scheint die Reporterin vom rbb begeistert zu sein, was die Simmersdorfer »auf die Beine gestellt haben«. Denn die Journalistin berichtete in der Sendung des »Landschleichers« am vergangenen Sonntag ausführlich von den vielen Helfern des Weihnachtsmarkts in Simmersdorf bei Cottbus. Dass daran offensichtlich rechte Jugendliche beteiligt waren, wurde einfach übersehen.
Denn besonders tatkräftig ging der örtliche Jugendklub beim Fest zu Werke. Das rbb-Team besuchte die Einrichtung und sprach mit den nicht mehr ganz so jungen Männern, die am Tresen ihr Bier tranken. Der Vorsitzende des Jugendklubs Simmersdorf, Rico Tobschall, zeigte sich besonders offen für die Fragen der Fernsehleute. Bei seinem Anblick war vor allem eine Frage zu erwarten, doch sie wurde nicht gestellt. Denn Tobschall trug einen Pullover mit der Aufschrift »Thor Steinar«. Die gleichnamige – in der Neonazi-Szene beliebte – Bekleidungsmarke hat ihren Firmensitz im Land Brandenburg. Doch statt mit dem jungen Mann über seine vermeintlich rechte Gesinnung zu sprechen, befragte ihn die Journalistin lediglich, warum er und seine Freunde beim weihnachtlichen Dorffest mit anpackten. Das Oberteil von Tobschall scheint ihr entgangen oder egal gewesen zu sein. Auch dass die anderen jungen Männer sehr kurzes Kopfhaar und fast alle von ihnen Bomberjacken trugen und damit wie Neonazis aus den 90ern aussahen, störte sie offenbar nicht. Die Journalistin erkundigte sich lediglich nach der schlechten Arbeitsplatzsituation für die Männer. Der weitere Beitrag konzentrierte sich wiederum voll und ganz auf das Simmersdorfer Fest.
Doch Simmersdorf machte in der jüngeren Vergangenheit nicht mit seinen Festen auf sich aufmerksam. Seit Jahren ist der Ort laut Informationen der Antifa Cottbus bekannt für Neonazi-Konzerte. Im Oktober 2009 erregte ein Konzert Aufsehen, weil die Polizei es auflöste. Dabei wurden die Personalien von 130 Personen aufgenommen. In der Folge des Konzerts veranstaltete der Verfassungsschutz eine Diskussion, um im Ort über Rechtsextremismus aufzuklären.
Wolfgang Katzula, Bürgermeister der Gemeinde Großschacksdorf-Simmersdorf, und der Amtsdirektor von Döbern-Land, Günter Quander, bestreiten zwar bis heute, dass die örtlichen Jugendgruppen mit den Veranstaltern des Konzerts in Verbindung stehen. Doch auch die in Neonazi-Kreisen bekannte Band »Frontalkraft« aus Cottbus konnte jahrelang einen Probenraum in Simmersdorf nutzen, wie das Mobile Beratungsteam Cottbus bestätigt. Weiterhin haben nach Angaben der Antifa Cottbus regionale und überregionale Treffen von Nazis, etwa zur Planung gemeinsamer Demonstrationen, »unbemerkt« stattfinden können. Dabei habe auch der Jugendklub Simmersdorf eine Rolle gespielt.
Christian Müller, Jugendkoordinator im Amt Döbern-Land, kennt die Probleme in Simmersdorf: »Es ist kein Geheimnis, dass rechtsorientierte Jugendliche in Simmersdorf aktiv sind.« Doch Ähnliches spiele sich in der gesamten Region ab. »Viele rechtsorientierte Jugendliche besuchen Jugendklubs und versuchen, ihnen ein rechtsoffenes Label zu verpassen«, erzählt Müller. Der Sozialarbeiter kritisiert, wie die Bürgermeister und die Gemeinden mit diesen Jugendlichen umgehen. »Für einige Bürgermeister ist das kein Problem, für mich aber schon.«
Susanne Kschenka vom Mobilen Beratungsteam Cottbus erklärt, dass die Erwachsenen in kleinen Orten oft nicht sehen, dass die hilfsbereiten Jugendlichen offensichtlich rechtsextrem denken. »Gerade die älteren Jugendlichen bauen sich mit ihrem Jugendklub eine Art Heimat auf und sind ein stetiger Partner in der Gemeinde«, sagt Kschenka. Auch Tobschall ist ein solcher. Denn der Verantwortliche für den Jugendklub sitzt auch in der Gemeindevertretung von Simmersdorf.
Amtsdirektor Quander ist der »Thor Steinar«-Pullover nicht aufgefallen, als er den »Landschleicher« am Sonntag gesehen hat. Doch nun, da er darauf aufmerksam gemacht wurde, kündigte er gegenüber ND an, »sich den Jungen zu greifen« und ein Gespräch mit ihm zu führen. Ob finanzielle Konsequenzen auf den von der Gemeinde gestützten Treffpunkt zukommen könnten, ließ er offen.
Der rbb reagierte da schneller. Am Dienstag wurde der »Landschleicher«, der im Normalfall eine Woche lang im Internet anzusehen ist, entfernt. Der Vorwurf, dass rechtsextreme Personen unkommentiert abgefilmt worden seien, werde nun geprüft, ließ der rbb wissen. Bei den Dreharbeiten und in der Redaktion sei der »Thor Steinar«-Schriftzug einfach nicht aufgefallen, Zuschauern schon.
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