Winter überfährt S-Bahn
Starker Schneefall führte zu chaotischen Verhältnissen auf Gleisen und Straßen
Die Berliner haben aus dem vergangenen Winter einiges gelernt, dennoch standen sie gestern dem Chaos meist machtlos gegenüber: »Ich bin extra eine halbe Stunde eher los, aber trotzdem noch nicht weit gekommen«, empörte sich am Morgen eine Frau auf dem S-Bahnhof Pankow. Dort drängelten sich die Menschen, weil zwei S-Bahn-Linien, die S 8 und S 9, hier nicht mehr fuhren und die S 2 nur unregelmäßig. Als dann eine Bahn kam, war sie so voll, dass niemand mehr hineinpasste. »Der nächste Zug kommt in vier Minuten«, versprach der Fahrer, was die Wartenden mit »wer's glaubt« und Lügner-Rufen quittierten.
Eine Ausweichmöglichkeit gab es für sie kaum, U 2 und Straßenbahn fahren baubedingt noch nicht, und die Busse des Ersatzverkehrs steckten in der Schönhauser Allee hoffnungslos im Stau.
Noch vor kurzem hatte sich die S-Bahn-Führung davon überzeugt gezeigt, dem Winter diesmal gewappnet zu sein. Fahrmotoren seien ausgetauscht und nicht mehr so anfällig gegen Flugschnee, 90 stünden als Reserve bereit. Diesmal erwiesen sich allerdings die Weichen als Schwachstellen. Die Weichenheizungen würden den normalen Schneefall wegschmelzen, doch gegen Verwehungen kommen sie nicht an, so ein Sprecher. Überall seien Räumkräfte im Einsatz, um die Weichen freizuschaufeln, »doch bei dem Wind sind sie nach einer Stunde wieder blockiert«.
Es lag also nicht an den Fahrzeugen wie noch im vergangenen Winter, als sie reihenweise ausfielen. Doch das dürfte den Fahrgästen ziemlich egal sein. Sie mussten im gesamten S-Bahn-Netz lange Wartezeiten in Kauf nehmen, und oftmals fuhr gar nichts. Die S 47 war nur zwischen Spindlersfeld und Schöneweide unterwegs, die S 5 nur zwischen Strausberg/Nord und Charlottenburg, zeitweilig auch nur bis Ostbahnhof, die S 8 und S 9 nur zwischen Blankenburg bzw. Schönefeld und Treptower Park. Auch die Ringlinien waren stark betroffen, am Ostkreuz gab es zeitweilig gar keinen Zugverkehr mehr. Zwischen Buch und Bernau mussten S-Bahn-Fahrgäste auf Busse umsteigen. Vereinzelt waren auch wieder Türen eingefroren – trotz des Einsatzes eines Enteisungssprays.
»Warnungen gab es genug, die S-Bahn hätte besser vorbereitet sein können«, so der Chef des Verkehrsverbundes Berlin Brandenburg (VBB), Hans-Werner Franz, der schon im Vorfeld die Wintervorbereitungen der S-Bahn kritisiert hatte. Klar sei, dass bei einem solchen Wetter nicht alles 100prozentig funktionieren könne, aber dass alle Linien betroffen waren, sei schon »ein starkes Stück«.
»Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet«, kommentierte der Fahrgastverband IGEB die Wintervorbereitungen der S-Bahn. Wobei IGEB-Vizechef Jens Wieseke angesichts der Weichenprobleme die Schuld eher beim DB-Konzern sieht. »Die S-Bahn kann sich noch so gut vorbereiten, wenn es die Netztochter der Bahn nicht genau so tut.«
Mit dem Schneechaos hatte auch die BVG zu kämpfen. Busse hatten morgens bis zu 60 Minuten Verspätung. Weil Straßen schlecht geräumt waren, mussten sie zeitweilig Schritttempo fahren. Auch Straßenbahnen kamen schlecht voran, Fahrer mussten zugewehte Weichen oft per Hand stellen. Auf der Bornholmer Straße und Am Kupfergraben entgleisten am Vormittag zwei Züge, so dass der Verkehr auf den betroffenen Linien zeitweilig unterbrochen war. Bei der U 5 kam es durch eine Weichenstörung zu Verspätungen, die ansonsten vor allem durch verstärkten Fahrgast-Ansturm verursacht waren.
Auf den meisten Hauptstraßen stand gestern Morgen alles still und ein Großteil der Autofahrer im Stau. »Wir geben unser Bestes«, wehrte sich ein BSR-Sprecher gegen Kritik, mit 1300 Kräften sei man seit den Nachtstunden im Einsatz. Aber wegen des Dauerschneefalls müssten die Straßen immer wieder geräumt werden. Und auch die Räumfahrzeuge stünden im Stau.
Auch um eine weitere Fortbewegungsmöglichkeit steht es kritisch: Langsam werden Schlitten knapp.
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