Schlusslicht im Bundesvergleich
In Bayern fehlt es an Einrichtungen, wo Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam lernen
München. Knallig rot die Schulranzen, bunte Bilder von Trauben und Nüssen sind mit Magneten an die Tafel geheftet: Eine sogenannte inklusive Grundschule in München sieht auf den ersten Blick aus wie eine normale Grundschul. Doch hier lernen behinderte gemeinsam mit nicht behinderten Kindern. Das ist in Bayern bislang die Ausnahme. Nach einer Studie der »Bertelsmann Stiftung« hat der Freistaat im bundesweiten Vergleich erheblichen Nachholbedarf in der inklusiven Bildung. Das teilte die Stiftung in der vergangenen Woche mit.
Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderungsbedarf gehen der Studie zufolge häufig auf spezielle Förderschulen, statt an Regelschulen zu lernen. Schon im Kindergartenalter spielten Jungen und Mädchen mit und ohne Förderbedarf nur selten miteinander. »Bayern steht damit an letzter Stelle, was die Inklusion in den Kindertageseinrichtungen angeht«, sagte Anette Stein, Verantwortliche der Studie, der Nachrichtenagentur dpa.
»Sechzehn Schüler sind in unserer Klasse, davon haben sechs einen Förderbedarf – sechs Integrationskinder«, sagte Grundschullehrerin Katharina Willinger (27) am Montag in München. Sie betreut die erste Klasse der Grundschule des Integrationszentrums für Cerebralparesen (ICP), die im September dieses Jahres gegründet wurde. »Inklusiv« sei die Schule, weil Kinder hier von Anfang an gemeinsam lernen und keines aussortiert oder anders behandelt wird.
Mehr soziale Kompetenz
Sie unterrichte nie allein, sagt Willinger. Immer begleite sie auch eine Sonderschullehrerin, eine Erzieherin oder eine Heilpädagogin. »Das ist unser großer Vorteil: Wir haben eine kleine Klasse, genug Zeit und Personal und können so ganz individuell auf die Kinder eingehen.« Anette Stein von der »Bertelsmann Stiftung« erklärt: »Studien belegen, dass Kinder mit Förderbedarf in inklusiven Einrichtungen besser lernen. Kinder ohne Förderbedarf profitieren auch davon: Sie erhöhen ihre soziale Kompetenz.« Deshalb sei ein gemeinsames Lernen sehr wichtig für die jeweilige Entwicklung. Diese Einschätzung teilt auch das bayerische Kultusministerium in München: »Wie bisherige Erfahrungen zeigen, lernen behinderte und nicht behinderte Kinder im gemeinsamen Unterricht mit- und voneinander«, heißt es im Ministerium.
Der Bertelsmann-Studie zufolge hatten in Bayern im Jahr 2009 rund 70 500 Schüler einen speziellen pädagogischen Förderbedarf – zusätzlich etwa 13 500 Kinder in Kindertageseinrichtungen. Damit liegt Bayern mit 5,5 Prozent knapp unter dem Bundesdurchschnitt. Trotzdem seien in Bayern nur sehr wenige dieser Kinder in Kindertagesstätten oder Grundschulen integriert.
»Mit nur 34 Prozent hat Bayern deutschlandweit den geringsten Anteil an Kindern mit Förderbedarf, die eine inklusive Kita besuchen«, teilte die Stiftung mit. »Auch in bayerischen Grundschulen lernen mit 23 Prozent sehr wenige Kinder mit Förderbedarf gemeinsam mit anderen – bundesweit sind es im Grundschulalter knapp 34 Prozent.« Später wechsele die große Mehrheit der bayerischen Kinder auf eine Förderschule – aus Mangel an inklusiven Bildungsangeboten.
Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) betont, dass seit 2003 in diesem Bereich viel erreicht worden sei. Er gibt aber auch zu, dass nachgebessert werden müsse. »Natürlich haben wir einen Nachholbedarf. Und deshalb müssen wir die Quoten weiter ausbauen«, sagte Spaenle der Nachrichtenagentur dpa.
Spaenles Vier-Punkte-Plan
Es gebe dazu einen Vier-Punkte-Plan, durch den mehr Kinder mit Förderbedarf an Regelschulen untergebracht werden sollen, erklärte Spaenle. Er müsse noch mit dem Finanzministerium verhandeln, habe aber »deutliche Planstellen für den Bereich« für den kommenden Doppelhaushalt eingeplant. Auch sollen in Zukunft mehr Förder- und Grundschullehrer gemeinsam unterrichten. Die Grundschule des ICP sei dafür »ein echtes Positivbeispiel«.
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