Bushs Flucht nach vorn

Superministerium für »innere Sicherheit«

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Nach den Enthüllungen von Sicherheitspannen vor dem 11. September tritt das Weiße Haus die Flucht nach vorne an: Ein Superministerium namens »Department of Homeland Security« soll entstehen. Inzwischen wird auch ohne Zentralbehörde die »innere Sicherheit« verschärft.

Am klarsten drückte John Conyers, demokratischer Kongressabgeordneter aus Michigan und Mitglied des Rechtsausschusses, seine Skepsis aus. Das von Präsident George W. Bush vorgeschlagene Ministerium diene lediglich der »Schadenskontrolle« und lenke »von den Problemen bei CIA und FBI eher ab, als dass es die Sicherheitsdienste auf intelligente Weise neu organisieren« würde. Sowohl der Auslandsgeheimdienst als auch die Bundespolizei würden ohne Verpflichtung auf eine engere Zusammenarbeit auch in Zukunft weiter vor sich hin werkeln. Fraglich seien zudem Sinn und Zweck einer Eingliederung der Einwanderungsbehörde in den zentralen Sicherheitsapparat. Auch die große Bürgerrechtsvereinigung »American Civil Liberties Union« (ACLU) kritisierte das Vorhaben Bushs. Das »Department of Homeland Security« konsolidiere die Macht der Regierung und greife »in unser Leben und unsere Freiheit« ein, meinte die Washingtoner ACLU-Vertreterin Laura Murphy. Der USA-Kongress, der dem Vorhaben zustimmen und seine Finanzierung von rund 37 Milliarden Dollar sicherstellen müsste, sei aufgefordert, wenigstens »strukturelle Sicherungen einzubauen«, um die Verletzung von Bürgerrechten zu verhindern. Murphy erinnerte an die Kommunistenhatz und die Zeiten der Quasi-Allmacht des FBI in den 50er Jahren. Dessen Chef J. Edgar Hoover habe die Behörde »als sein privates Königreich regiert, und die Verletzung von Bürgerrechten war gang und gäbe«. Die Schaffung des Ministeriums bedeutet Bush zufolge die »tief greifendste Reorganisation der Föderalregierung seit den 40er Jahren«. Im Jahr 1947 waren auf Grundlage des »National Security Act« das Pentagon, die CIA und der fast gänzlich im Verborgenen arbeitende »Nationale Sicherheitsrat« gegründet worden. Das Heimatschutz-Ministerium soll eine komplett neue Behörde sein mit Zuständigkeiten von der Sammlung und Sichtung von Geheimdienstinformationen über Grenzsicherung und Katastrophenschutz bis hin zu Maßnahmen gegen chemische, biologische und atomare Waffen. Seine voraussichtlich 170000 Mitarbeiter sollen dazu aus bereits existierenden Ministerien abgezogen werden. Außerdem ist geplant, das nach dem 11. September eingerichtete Büro für Innere Sicherheit aufzuwerten und mit umfassenderen Vollmachten auszustatten. Das neue Ministerium habe, so Bush in seiner Fernsehansprache, eine »überragende und dringende Aufgabe: das amerikanische Heimatland zu sichern und das amerikanische Volk zu beschützen«. Falls der Kongress zustimmt, und vieles spricht dafür, dann wird es nach dem Verteidigungsministerium die zweitgrößte Behörde der USA-Regierung und mit einem Budget von 37 Milliarden Dollar nach Pentagon, Kriegsveteranenverwaltung und Bildung die viertteuerste. In den letzten Tagen war u.a. bekannt geworden, dass die CIA bereits im Dezember 1999 von einem geplanten Treffen der Al-Qaida-Organisation Osama bin Ladens in Kuala Lumpur wusste, den Warnungen aber wenig Bedeutung beimaß. Zugleich wurde enthüllt, dass dem FBI-Büro in Phoenix, Arizona, lange vor dem 11. September verdächtige arabische Pilotenschüler aufgefallen waren. Wie »Newsweek« schrieb, soll die CIA zwei der Flugzeugentführer vom 11. September jahrelang im Visier gehabt, aber weder die Einwanderungsbehörde noch das FBI darüber informiert haben. Und am Donnerstag, als Bush seine Pläne bekannt gab, erzählte FBI-Agentin Coleen Rowley aus Minnesota vor einem Untersuchungsausschuss im Kongress, dass FBI-Angehörige, die ihre Warnungen ins Washingtoner Hauptquartier weitergegeben hatten, von ihren Vorgesetzten systematisch ignoriert worden waren. Rowley selbst hatte in Washington ohne Erfolg die Genehmigung für die Durchsuchung eines Computers verlangt. Es handelte sich um den PC des französischen Flugschülers Zacarias Moussaoui, der im August 2001 verhaftet worden war und heute als verhinderter 20. Entführer gilt. Gestern schließlich berichtete die »Sunday Times«, der britische Auslandsgeheimdienst MI6 hätte die USA-Stellen schon 1999 darüber informiert. dass Osama bin Ladens Leute Verkehrsflugzeuge »auf unkonventionelle Weise« einsetzen wollten. Hätten die Behörden ihre Arbeit richtig gemacht, sie hätten den 11. September verhindern können - dieser Vorwurf schwebt über dem Weißen Haus. Doch statt Druck auf FBI und CIA Richtung Reformen auszuüben, hat Bush die medienträchtige Flucht nach vorn angetreten. Die Schaffung eines »Department of Homeland Security« wird im Kongress viele Kräfte binden, die sonst zur Aufdeckung der Sicherheitspannen verfügbar gewesen wären. 80 Kongressausschüsse sind mit dem Prozedere einer »Sicherheitsreform« betraut. Schließlich stehen im Herbst Kongresswahlen an, und die Republikaner tun alles, um ihren Präsidenten zu schützen. In der Zwischenzeit verschärft Justizminister John Ashcroft weiter die »innere Sicherheit«. So sollen bis 2005 »praktisch alle« der jährlich 35 Millionen Besucher der USA registriert werden. Einreisende, die »in die Kategorien erhöhter nationaler Sicherheitsbedrohung« fallen, sollen zudem künftig an der Grenze fotografiert werden und müssen ihre Fingerabdrücke abgeben. Besucher aus arabischen und muslimischen Ländern müssten sich nach 30 Tag...

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